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Kultur: Hightech auf Marmorsockeln

Das neu eröffnete Beisheim-Center in Berlin orientiert sich an Chicagos Architektur

Keine Frage: Ohne das Lenné-Dreieck wäre die Neubebauung des Potsdamer Platz kaum zu einem glücklichen Ende gekommen. Hätten die Naturschützer sich durchgesetzt und die wuchernde Vegetation sowie die Spontanbesiedelung des einstigen Niemandslandes durch Rotkehlchen und Junkies gerettet, wäre das Dreieck zwischen Sony Center und Tiergarten eine anarchische Wüstenei geblieben.

So aber konnte das Gelände in die städtebauliche Planung einbezogen werden, deren Wettbewerb die Münchner Architekten Hilmer und Sattler im Jahr 1991 gewannen. Und hier konnten sie nun auch endlich selbst bauen, denn Metro-Chef Otto Beisheim bestellte bei ihnen ein Hotel „fünf Sterne plus“ – das Ritz-Carlton – und ein Bürohaus. Ein weiteres Hotel sollte der Berliner Architekt Bernd Albers entwerfen. Der Auftrag für das Bürohaus an der Ebertstraße schließlich ging an einen Vertreter der jungen Garde, an Modersohn & Freiesleben.

Vielleicht schwante Beisheim ja, dass sein Quartier allzu sehr ins Nostalgische tendieren würde. Deshalb wählte er für das Wohngebäude an der Lennéstraße einen Architekten, der des Historismus unverdächtig ist: den Briten David Chipperfield. Das Label „Parkside Apartments“ erinnert vielleicht an New Yorks Central Park, doch die klassisch moderne Linie, die rahmenlos ausgeschnittenen Fenster und abgerundeten Gebäudeecken kennt man eher vom Neuen Bauen in Jerusalem. Unregelmäßige Befensterung, die scheinbar wahllos aus der Fassade gezogenen Schubladenbalkons und die Horizontalität wirken ebenso als Kontrastprogramm zur Nachbarschaft wie die glatte, schwere Muschelkalkfassade. Chipperfield war es auch vergönnt, im Inneren eine Musterwohnung einzurichten. Hoffentlich macht seine elegante Moderne auch in den anderen 35 Wohnungen Schule, die von 150 bis 312 Quadratmeter Größe zu haben sind. Man raunt von 10000 Euro pro Quadratmeter.

Über Preise wird im Turm über dem Ritz-Carlton nur mit ernsthaften Interessenten gesprochen – ebenso wie bei den benachbarten „Tower Apartments“: Dort hat das Halbgeschoss 230, ein ganzes Geschoss 580 Quadratmeter. Peter Silling, Innenarchitekt des Ritz-Carlton, hat die Musterwohnung etwas unentschieden zwischen Zopfstil und Rokoko ausgestattet. Selbst die Steckdosen stammen aus dem 18. Jahrhundert.

Auch die Höhe lässt zu wünschen übrig: Es hätten ruhig noch fünf Apartment-Geschosse mehr sein können, hat der Hotelturm doch merkwürdige Baukastenproportionen. Die Farbe, irgendwo zwischen Eierschale und Crème Caramel, verträgt sich leider gar nicht mit dem Betongrau des von KollhoffundTimmermann entworfenen Nachbarturms der Delbrück-Bank. Hilmer, Sattler und Albrecht haben sich an den Hochhäusern der Schule von Chicago orientiert, sind aber über einen faden dritten Aufguss nicht hinausgekommen.

Prächtiger geht es im Inneren des Nobelhotels zu, das hundert Jahre älter zu sein scheint: Es ist fast durchgehend in Klassizismus und Empire dekoriert – sieht man von der barocken Treppenanlage ab, die ihre Großzügigkeit leider nicht entfalten kann, weil sich eine Brüstung quer ins Bild schiebt. Derart klobige Stuckmarmorsäulen mit überdimensionierten vergoldeten Kapitellen wie im Entree wären Schinkel nicht ins Haus gekommen. Und die allzu beflissen gemusterten Teppiche stehen mit den ebenfalls lebhaft gemusterten Säulen, Wänden und Marmorsockeln auf Kriegsfuß.

Das beklemmende Adlon-Gefühl kommt allerdings angesichts größerer Stilsicherheit nicht auf . Man kann auch freier atmen, denn das Ritz-Carlton verfügt, anders als das Adlon, über eine Belle Etage mit vernünftigen Raumhöhen, was ein großzügiges Foyer und einen wohlproportionierten Ballsaal möglich machte. Auf Gastlichkeit wird großer Wert gelegt; man freut sich über jeden Flaneur, der auf einen Cappuccino vorbeischaut oder in der Brasserie „Desbrosses“ (das Original-Interieur von 1875 stammt aus Burgund) ein paar frische Brioches mitnimmt, der sich in der Boutique mit einem Gastgeschenk ausstattet (wie wär’s mit einem flauschigen RC-Bademantel?) oder im venezianischen Gourmet-Restaurant „Vitrum“ einen Tisch reserviert.

Wer in den oberen Etagen auf „Club-Level“ residiert, wird in der eigenen Lounge dinieren können, wenn er nicht ohnehin ein Speisezimmer mit Kamin in seiner Suite vorfindet. Berliner Klassizisten wie Schinkel, Langhans und Schadow standen Pate für die Suiten, und selbst Markus Lüpertz hat sich bei seinen die Wände schmückenden Grafiken manche Hommage an Schinkel einfallen lassen. Puren Luxus in einem Allzweck-Nostalgiestil repräsentieren die opulenten Badezimmer, für die sich im Biedermeier wohl keine Vorbilder haben finden lassen. Harte Konkurrenz also für das Adlon, das gegenüber dem Ritz-Carlton nur mit seiner Größe wirklich punkten kann.

Dagegen tritt das Marriott als das zweite Hotel am Platze, immerhin ebenfalls mit fünf Sternen dekoriert, nicht nur räumlich und durch seine seitwärtige Lage in den Hintergrund. Auch Architekt Bernd Albers schaute über den Großen Teich und zitiert mit der durch prismatische Pfeiler betont vertikal ausgerichteten Kalksteinfassade den amerikanischen Architekten Raymond Hood der Dreißigerjahre. Im Inneren des gemäßigt modern eingerichteten Hauses macht das 35 Meter hohe Atrium Eindruck, an das sich jeder Gast nach seiner Abreise bestimmt noch lange erinnern wird. Für das rückwärtige Bürohaus schließlich haben sich Hilmer, Sattler und Albrecht das First Leiter Building in Chicago aus dem Jahr 1879 von William LeBaron Jenney zum Vorbild genommen: Sie zitieren dessen Pfeiler und dessen Balken-Architektur. Doch auch hier fehlt es den vorgehängten Steintafeln an der Kraft und der Relieftiefe des Originals.

Und der Gesamteindruck? Das Quartier mit dem Beisheim Center und den ruhigeren Binnenstraßen lässt den Potsdamer Platz und den Tiergarten wieder zusammenrücken – die Gletscherwand des Sony Centers trennt beide bislang ja eher voneinander. Zum Potsdamer Platz hin bleibt es allerdings blass und unbeholfen. Es verharrt gewissermaßen auf dem Niveau des Leipziger Platzes. Den auf je eigene Art eleganten Renommiergründen von Piano, Kollhoff und Jahn kann das neue Quartier jedenfalls nicht Paroli bieten.

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