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Foto: Jens Kalaene/dpa

© dpa

Kultur: Himmel voller Gitarren

Der Rockgigant Jimmy Page wird 70.

Wenn der alte Herr mit den wallenden weißen Haaren durch sein englisches Herrenhaus schleicht, behelligen ihn die Geister nicht mehr. Ob Jimmy Page sie vertrieben hat mit dem Lärm seiner Gitarren? Vielleicht ist es ihnen auch einfach nur zu langweilig geworden in dem verwitterten Gemäuer, bewohnt von einem Rockprivatier, der sich damit begnügt, eine Legende zu sein.

Noch vor drei Jahren hätte kaum jemand Näheres über Jimmy Page gewusst, der mit den Yardbirds und Led Zeppelin Unvergessliches geschaffen hat. Nach dem Ende der wohl mächtigsten Rockband aller Zeiten war es immer stiller geworden um den Mann, der heute vor 70 Jahren im Westlondoner Stadtteil Heston geboren wurde und mit seiner E-Gitarre Urgewalten entfesseln konnte.

Doch dann kam 2010 der wunderbare Film „It might get loud“ in die Kinos. Darin sah man Page auf den Dachboden seines Hauses steigen, wo er die offenbar überflüssig gewordene Vergangenheit in hunderten Gitarrenkoffern verstaut hatte. So viele Instrumente, jedes hat einmal eine Bedeutung gehabt, und sei es, dass er es sich als Rockstar einfach nur leisten konnte, sie zu besitzen. Falls es Dämonen in diesem Leben gibt, dort hätten sie sich gezeigt.

Aber Jimmy Page ist nie ein Getriebener gewesen. Auf seinen Zügen liegt heute eine Friedlichkeit, die auch ein ermatteter Nachklang der so unendlich verschwenderischen siebziger Jahre sein mag, aber vor allem wohl das Privileg desjenigen ist, der für sein eigenes Fortkommen nichts aus dem Weg räumen musste.

Begonnen hat alles damit, dass Pages Familie nach dem Umzug in ein neues Heim eine Gitarre vorfand, die der Vorbesitzer zurückgelassen hatte. Der Junge fing an, sich erste Griffe beizubringen. Es gibt einen frühen Fernsehmitschnitt aus der Zeit, da Page als Teenager in einer Skiffle-Band spielt. Das frühreife Talent trägt brav bürgerlich Pullover und weißes Hemd, für das Lied muss er nur einen einzigen Akkord schrammeln. Die Magie des Instruments hat sich ihm noch nicht erschlossen.

Jedenfalls hörte er nicht mehr auf, Gitarre zu spielen. Er nahm sie mit in die Schule, um sie in den Pausen zur Hand zu haben. Bis man ihm dort das Instrument entzog. "Sie dachten wohl", erzält Page später, "es wäre eine Art von Rebellion. Dabei wollte ich niemandem etwas tun. Damals noch nicht."

Page wird Anfang der Sechziger in London der wichtigste Studio-Gitarrist. Ein gut aussehender junger Mann im Kordsakko, der für Filmsoundtracks ins Studio bestellt wird ("Goldfinger") und sehr anständig verdient. Doch als er immer öfter für hirnlose Hintergrundmusiken eingesetzt wird und keine eigenen Akzente mehr setzen darf, hat er das Geschäft bereits durchschaut. Er weiß, welche Gesetze er brechen muss, um den Leuten „wehzu- tun“. Der Rest ist superlativ. Led Zeppelin definieren in den zwölf Jahren ihres Bestehens die Rockmusik neu. Alles ist größer, lauter, wilder und gefährlicher. Und sogar kunstvoller. Da ist das locker aus dem rechten Handgelenk geschüttelte Monster-Riff von „Whole Lotta Love“, der kubistisch verschachtelte Beat von „Black Dog“ und das Gitarrenstück schlechthin: „Stairway To Heaven“. Diese Band konnte alles, und immer klang es bigger than life. Doch als Schlagzeuger John Bonham 1980 in Pages Haus stirbt, ist es mit dieser Herrlichkeit vorbei. Was immer Jimmy Page seither beschäftigt haben mag, es hat ihn zu einem vergnügten Herrn werden lassen, der seiner Zeit nicht nachtrauert und überhaupt meint, er sei als Gitarrist viel weniger wichtig als behauptet. „Entweder ich übte“, sagt er, „oder die Gitarre spielte mich.“

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