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Kultur: Himmelsgarben

Sprengen ist zu gefährlich: Zeitgenössische Kunst soll die NS-Flaktürme in Wien beleben

Wie ein Ungetüm schiebt sich der Betonkoloss ins Blickfeld. Unvermutet taucht der 42 Meter hohe und bis zu 57 Meter breite Brocken zwischen GründerzeitFassaden in einer Grünanlage auf. Wegsehen hilft nicht. Seit 63 Jahren steht der Gefechtsturm im Arenbergpark im 3. Wiener Gemeindebezirk. Wenige Schritte entfernt befindet der Feuerleitertum – ebenso groß und hässlich. Es sind Hinterlassenschaften aus dem „Dritten Reich“, erbaut von Friedrich Tamm, den das Berliner Rüstungsministerium entsandte. Schon während ihrer Bauzeit waren die groben Klötze für die Verteidigung nutzlos geworden. In den letzten Kriegsjahren flogen die Bomber doppelt so hoch in 10 000 Meter Höhe, zu weit für Wiens Flak-Geschütze.

Mit dem tonnenschweren Erbe der Nazi-Zeit tun sich die Wiener bis heute schwer. Denn die sieben Meter dicken, fensterlosen Mauern lassen sich nicht sprengen ohne Schaden in der Nachbarschaft. Die Stadt plagt sich mit insgesamt sechs solcher Brecher und sucht nach alternativen Funktionen: Ein Flakturm wird genutzt als Kletterwand, ein anderer heißt heute „Haus des Meeres“ und beherbergt ein Aquarium, ein dritter dient als Datenspeicher, in zwei residieren Tauben. Der sechste und hässlichste Klotz von allen, jenes Ungetüm im beschaulichen Arenbergpark, wird als Schaulager des Museums für Angewandte Kunst (MAK) genutzt.

Auf ihn könnte eine große Zukunft warten, denn MAK-Direktor Peter Noever will hier „Die Sammlung des 21. Jahrhunderts“ installieren, den Hochbunker zum „Contemporary Art Tower“ (CAT) deklarieren. Auf den ersten Blick ein grotesker Ort für ein solches Unterfangen: ausgerechnet in einer Trutzburg der Moderne, einem Kriegsrelikt, ein Zukunftsprojekt zu wagen. Doch der amerikanische Lichtkünstler James Turrell, der in einem der Gefechtsstände eine Skyspace-Bar einrichten soll, hat die Dinge dialektisch so zurechtgerückt, dass der architektonische Supergau doch noch seinen Sinn erhält: „Von einem Bauwerk, das dazu geschaffen wurde, Dinge aus dem Himmel abzuwehren, kommt ein Raum, der uns zum Himmel führt ... ein Raum zum Himmel.“

Unter dem Titel „Heaven’s Gift“ hat Noever sein Konzept in den letzten Jahren bereits als Ausstellung auf Reisen geschickt. Nun aber scheinen die hoch fliegenden Pläne greifbar. Gemeinsam mit dem Investment-Banker und CAT-Vorstand Johannes Strohmeyer, Christoph Stadlhuber von der Bundesimmobiliengesellschaft sowie dem amerikanischen Bauträger Frederick Smith als Förderer hat er nun das „Business Concept“ vorgestellt. Schon 2007 sollen die 12 900 Quadratmeter Nutzfläche auf neun Geschossen für die Kunst nutzbar sein.

Noevers Argumentation, warum dies ausgerechnet in einem Gefechtsturm zu geschehen habe, ist bezwingend: Das CAT sei die Antwort auf ein permanentes Dilemma. Angesichts fehlender Mittel für zeitgenössische Kunst, die immer teurer wird, besteht die Lösung darin, die Künstler für ein vergleichweise geringes Honorar im Hochbunker in situ arbeiten zu lassen. Das Ergebnis sind Werke, die auf den Ort reagieren und den Grundstock der „Sammlung des 21. Jahrhunderts“ bilden.

Die Idee besticht, zumal die amerikanische Künstlerin Jenny Holzer bereits ein Werk entwickelt hat, das genau auf den Punkt zwischen Erinnerung und Aufbruch zielt: An der Spitze eines metallenen Medien- und Versorgungsturmes, der von außen an den Gefechtsturm angebracht wird, will sie einen „Suchscheinwerfer“ installieren lassen, der das Publikum durch Laser auf Veranstaltungen im Flakturm aufmerksam macht. Der russische Konzeptkünstler Ilya Kabakov hat dem CAT seinen Biennale-Beitrag von 2001 vermacht mit dem Titel „Not everybody will be taken into the Future“. Er zeigt einen Eisenbahnwaggon von hinten, der das Gemäuer scheinbar nach außen in Richtung Zukunft durchbricht.

Trotzdem erfährt „Die Sammlung des 21. Jahrhunderts“ verhaltene Resonanz, zumindest das „Business Concept“. Geprobt wird eine ungewöhnliche Form des Public-Private-Partnership. 20 Millionen Euro soll die Umwandlung des NS-Geschützturmes in einen Art-Tower kosten, bezuschusst durch jeweils 3,5 Millionen Euro von Bund und Stadt Wien sowie der Bundesimmobiliengesellschaft als Besitzer. Der CAT-Vorstand verspricht ein kleines Wunder: den break even schon im ersten Jahr. Gerechnet wird mit jährlich mindestens 100 000 Besuchern.

Neben Zweifeln an der Höhe der Besucherzahlen löst vor allem die Konstruktion der Trägerschaft Skepsis aus. Neben der hauseigenen Kollektion aus Werken, die für den Ort geschaffen werden, soll eine „Sekundärsammlung“ aus verkäuflichen „Doubletten“ (Strohmeyer) entstehen. Das sind neue Wege der Finanzierung, ja der Beteiligung: „eben kein Sponsoring, sondern Investment“, wie es bei der Präsentation hieß. Gefragt sind sensible Investoren mit Sinn für Kunst, weniger für Spekulation. Die Pointe: Auf diese Weise behält der Gefechtsturm seinen kämpferischen Auftrag, wenn auch in friedlicher Funktion. Den Versuch ist es wert, denn der Betonkoloss bleibt unverrückbar. Mit Kunst wird er einer neuen Funktion zugeführt. Parkbesucher brauchen künftig nicht mehr wegsehen, sondern können hingehen.

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