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Kultur: Hingucker, Abzocker

„Die 100 besten Plakate“: Eine Ausstellung in der Stadtbibliothek kaschiert die Krise der Plakatkunst

Sie trinken Bier, spielen Saxofon, Keyboard und Trommel, ein Klavier wird in Stücke gerissen, so dass ihnen bei dem super Sound die Ohren brennen. Später fahren sie in der S-Bahn durch die samtschwarze Nacht. Plakate sollen einfach sein. Einmal hingucken muss genügen, um alles zu erfassen. Deshalb macht der Comic-Strip, der für das Berliner Jazzfest wirbt, eigentlich viel falsch. Trotzdem ist es zu einem der besten 100 Plakate gekürt worden. So auch die Werbung für Produkte, die in Gefängnissen hergestellt werden. Es wird nicht nur Aufsehen erregt, sondern eine Geschichte erzählt: Vier Topfpalmen stehen im Kunstdünger in der langweiligsten, kahlsten Flughafen-Ecke, darüber ein Schild mit der Aufschrift „C4“ für den Flughafensektor. Erst auf den zweiten Blick erkennt man: Es ist ein Protest-Plakat gegen die Professurbiotope an Universitäten.

Plakate umgeben uns überall, sie sind die Blickdompteure des öffentlichen Raums. Anders als Kunst hat ein Plakat immer eine Funktion, ist Botschaftsträger, soll Informationen schnell preisgeben. „Die 100 besten Plakate“ lautet ein Wettbewerb, der jährlich in Berlin ausgelobt wird und fast fünfzigjährige Tradition hat: 1966 wurde er in der DDR gegründet, wo er seine stärkste Zeit hatte und zu einem international anerkannten Forum für Plakatkunst wurde. Nach der Wende ging es weiter, seit 2001 sind auch Österreich und die Schweiz dabei. Neben den stärker kommerziell orientierten Ausschreibungen des „Art Directors Club Deutschland“ (ADC), dem „Plakat Grand Prix“ und „Das Plakat“, prämiert „100 beste Plakate“ sowohl studentische Arbeiten, als auch die von Agenturen und freischaffenden Künstlern.

Worüber die Vielfalt der Ausstellung allerdings hinwegtäuscht: Es steht schlecht um die Plakatkunst im deutschsprachigen Raum. Den fünf Jurymitgliedern (Grafiker aus allen drei Ländern) fiel es sogar schwer, unter den 1200 Einsendungen überhaupt hundert gute zu finden: Nur etwa achtzig waren interessant, originell, treffend genug, erläutert Jury-Mitglied Hans-Helmut Brade, dann wurde es eng: Langweilig, nicht zukunftsweisend, kaum eigene gestalterische Mittel. Viel Computertechnik, aber kaum gute Ideen.

Brade, Jahrgang 1936, blickt selber auf eine lange Grafiker- und Bühnenbildner-Karriere zurück. Bis vergangenes Jahr hatte er zudem eine Professur für Kommunikationsdesign an der Hochschule für Kunst und Design in Halle inne. Er selbst reichte 1968 zum ersten Mal eine Arbeit für die „100 besten Plakate“ ein. Heute, kritisiert er, sind die Hochschulen letzte Bastionen, in denen Kreative kühne Ideen ausprobieren und zeichnerisch, fotografisch und mit Grafikprogrammen experimentieren – in der Arbeitsrealität aber ist etwas anderes Trumpf: Auffallen um jeden Preis. So sind rund ein Viertel der prämierten Plakate im universitären Schutzraum entstanden. Sie werden wohl nie eine Litfaßsäule oder eine U-Bahn-Wand zieren.

„Längst schon gilt nicht mehr, was die Väter moderner Bildreklame glaubten, dass der Weg zum Erfolg nur über künstlerisch-innovative Plakate führe“, konstatiert auch Anita Kühnel in ihrem Aufsatz zur Geschichte des künstlerischen Plakats. Der Wettbewerb aber versucht, Sprachrohr und Anwalt eines künstlerisch-ästhetischen Anspruchs zu sein: Man hofft auf „die Klugen und die Besessenen“, auf Grafikjunkies, die gegen banalisierende Trends und ökonomische Gebote für das Künstlerische im Warenrausch kämpfen.

Bis 18. August, Haus Berliner Stadtbibliothek (Breite Str. 32-34, Mitte). Katalog: 34,80 €.

Julia Hellmich

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