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Kultur: Hinschauen, bis es weh tut

Tiere wie du und ich: Johannes Grützke malt Stillleben und findet im listigen Fuchs sein Alter ego

Füchse gelten als Tiere, bei denen man nie weiß, ob ihnen über den Weg zu trauen ist. „Kaum ein einziges anderes Tier“, schreibt Alfred Brehm, „genießt einen so hohen Ruhm wie Freund Reineke, das Sinnbild der List, Verschlagenheit, Tücke, Frevelhaftigkeit und, wie ich sagen möchte, gemeinen Ritterlichkeit“. „Gemeine Ritterlichkeit“: Vor dem dialektischen Wesen des Fuchses musste sogar der als „Tiervater“ apostrophierte Zoologe kapitulieren. Einerseits geben Füchse die Gans, die sie gestohlen haben, garantiert nicht wieder her. Andererseits lassen sie sich, wenn sie jung genug eingefangen werden, zu Haustieren machen, die ihre Besitzer schwanzwedelnd begrüßen. „Sie werden“, fährt Brehm fort, „wenn man sich viel mit ihnen abgibt, bald zahm und erfreuen durch ihre Munterkeit und Beweglichkeit“.

Den Fuchs, den Johannes Grützke auf seinen neuen Gemälden zeigt, könnte man für eines dieser domestizierten Exemplare halten. Seidig glänzt das „rost- oder gelbrot gefärbte“ (Brehm) Fell, die dunkelbraunen Augen funkeln munter. Auf vier aneinander anschließenden Bildern beobachtet Grützke minutiös wie in einer Bewegungssequenz, wie der Fuchs über einen Küchentisch pirscht. Mit hoch aufgerichtetem Schwanz klettert er über die ausgebeulten weißen Turnschuhe seines Herrn, dann beugt er sich über eine Schüssel, in der ein schwarzer Brocken – vielleicht ein Stück Fleisch – darauf wartet, von ihm gefressen zu werden. Das Haustier bekommt sein Abendbrot. Erst auf den zweiten Blick fallen die Widersprüche auf. Die Hinterpfoten des Fuchses werden von schwarzen Würfeln gestützt, die sich bei näherem Hinsehen als Pflastersteine entpuppen. Und was haben Schuhe auf einem Küchentisch zu suchen?

Grützkes Fuchs-Gemälde sind keine Porträts, sondern: Stillleben. Eines Tages lag das ausgestopfte Tier, das einen Teil seiner Hinterläufe und damit die Standfestigkeit verloren hatte, vor der Tür von Grützkes Atelier in der Wilmersdorfer Güntzelstraße. Das Rotwild war die mäzenatische Stiftung von Kunstfreunden, die gelesen hatten, dass Grützke mit großer Begeisterung immer wieder das Präparat eines Pavian-Weibchens malte, das er von einem schwäbischen Tierkonservator erworben hatte (vgl. Tagesspiegel vom 9. Juli 2002). Die Pavian-Dame mit ihrem obszön anmutenden, rot aufgeblasenen Po hatte Grützke so oft dargestellt, bis – so der Künstler – „meine Freundin eifersüchtig wurde“. Nun, das beweist eine wunderbare Ausstellung seiner Stillleben aus den letzten drei Jahren in der Ladengalerie, hat sich Grützke tiefer eingearbeitet in die Fauna. Neben Fuchs und Pavian ist dort auch ein Feldhase zu bewundern, der in seiner possierlichen Mümmelmannhaftigkeit an Dürer erinnert.

Im Italienischen werden Stillleben als natura morta bezeichnet, tote Natur. Jedes Stillleben ist auch ein memonto mori, das an die Vergänglichkeit alles Irdischen gemahnt. Auf barocke Stillleben wurde deshalb gerne inmitten von prachtvollem Obst und kostbarem Geschmeide ein Totenkopf platziert. Alles Lebendige ist dem Tod anheim gegeben. Grützke geht umgekehrt vor: Mit seinem Pinsel scheint er Totes zu verlebendigen. Das zwischen Küchenutensilien dargestellte Pavian-Weibchen wirkt, als würde es fröhlich durch die Räume toben, und die Flauschigkeit des Fuchs-Fells hat Grützke so getreulich wiedergegeben, dass man am liebsten hineingreifen möchte. Wer will, kann in den Tier-Gemälden auch lauter ironisch verschlüsselte Selbstporträts erkennen. Der listige Fuchs wäre kein schlechtes Alter ego für einen Künstler, der seit vierzig Jahren konsequent allen Moden des Betriebs trotzt, das Malerei-Verbot in der Konzeptkunst-Ära genauso ignorierte wie den momentanen Realismus-Boom.

Grützke, der vor 65 Jahren in Berlin geboren wurde, ist ein großer Selbstbefrager. In der Ladengalerie, die seine Bilder nun schon seit mehr als drei Jahrzehnten regelmäßig ausstellt, sind unter den rund vierzig überraschend kleinformatigen Arbeiten auch einige Selbstporträts. In Öl auf Leinwand blickt Grützke mit zurückgelegtem Kopf arrogant durch seine Brille, in Tusche auf Papier ist das Gesicht mit aufgerissenem Mund zur Fratze verzerrt. Als Satiriker und Parodisten hat man den Mitbegründer der „Schule der Neuen Prächtigkeit“ oft missverstanden. Dabei schaut er bloß so lange und genau hin, bis es wehtut. Das obsessive und schonungslose Betrachten des eigenen Älterwerdens verbindet Grützke mit Rembrandt, an technischer Brillanz kann er es ohnehin mit den Alten Meistern aufnehmen. So gesehen bekommen die Bilder, auf denen er mit einem Schuhmacherhammer an seinen ausgelatschen Schuhen herumhantiert, einen Doppelsinn: Maler, bleib bei deinen Leisten!

Ladengalerie, Brunnenstr. 5 (Mitte), bis 31. Juli, Di–Do 10–18.30 Uhr.

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