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Kultur: Hinter dem Bergsattel

Der polnische Soziologe Zygmunt Bauman geht in Berlin über Stalinismus-Vorwürfe elegant hinweg

Nun also Zygmunt Bauman. Nach der Hatz auf den jüdischstämmigen Ex-Außenminister und Europaabgeordneten Bronislaw Geremek, der es abgelehnt hatte, sich nach den verschärften Bedingungen des polnischen Lustrationsgesetzes durchleuchten zu lassen, nach dem Nachtreten auf den Publizisten Ryszard Kapuscinski, dem post mortem nun Kontakte zur Staatsmacht zur Last gelegt werden, musste sich jetzt das Polnische Institut in Berlin dafür verteidigen, den großen Soziologen Zygmunt Bauman überhaupt nach Berlin eingeladen zu haben.

Es habe Beschwerden gegeben, einen „Stalinisten“ einzuladen, hieß es im Vorfeld der Auftaktveranstaltung „Europadiskurse“, bei dem Bauman am Donnerstag Abend über das „unvollendete Abenteuer“ Europas diskutieren wollte. Ist der 81-jährige Inspirator der Postmoderne, der 1968 Polen wie viele andere Juden verlassen musste, ein Stalinist, weil er nach dem Krieg drei Jahre für den Geheimdienst gearbeitet hat? Zu den Angriffen sagte er dieser Zeitung, sein Leben sei „wie Europa auch ein unvollendetes Abenteuer“. Bauman erinnerte daran, dass viele polnische Juden nach dem Krieg große Hoffnungen auf den Kommunismus gesetzt hätten, zumal das Nationalpolen der Zwischenkriegszeit antisemitisch geprägt gewesen sei. Ein Argument, das vermutlich auch Marcel Reich-Ranicki vertraut ist, der selbst in der Nachkriegszeit für den polnischen Geheimdienst arbeitete.

Die Veranstalter ließen sich von der auch in deutschen Feuilletons geführten „Debatte“ denn auch nicht abbringen. Die 150 Gäste in der überfüllten, feucht- schwülen Brandenburger Landesvertretung dankten – und interessierten sich vor allem dafür, wo Bauman in Zeiten der Legitimationskrise Europas die Zukunft des Kontinents sieht.

Was können wir Europäer dem Planeten überhaupt „als Mitgift anbieten?“, fragte Bauman seinen Kollegen Claus Offe und Moderator Gerd Appenzeller, Redaktionsdirektor dieser Zeitung – und gab die Antwort gleich selbst. Die Vielfalt, die Vielsprachigkeit, die gleiche Behandlung der anderen seien die „Heiligkeit“ Europas. Als „Labor für die Welt“ begebe sich der Kontinent seit Jahrhunderten auf eine beschwerliche Reise „hin zu einem Bergrücken“ – ohne freilich genau zu wissen, was hinter dem Passstraße komme. Ist es ein „europäisches Bürgertum“, in dem Vielfalt und friedliches Nebeneinander möglich sind? Bauman gab ausdrücklich keine Antwort, sei doch die Zeit der ideologischen Visionen – auch manch eigener, fügte er ironisch hinzu – vorbei.

Claus Offe erschien diese in den Weg verliebte Analogie zu einfach. „Vielfalt allein generiert noch keine Verständigung“, argumentierte er und forderte ein Ziel Europas. Der Horizont, das „Land hinter dem Bergsattel“ erscheine ihm zu unscharf. „Meine Hoffnung liegt in der Logik der Entwicklung“, sagte dagegen Bauman. Ist er damit der Optimist und der politisierende Offe der Pessimist? Keineswegs, sagte Bauman. „Ein Optimist ist ein Mensch, der denkt, dass wir in der bestmöglichen Welt leben. Der Pessimist befürchtet, dass das stimmt.“ Sebastian Bickerich

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