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Kultur: Hinter dem Glasvorhang

Es ist eine typische Hauptstadt-Geschichte. Morgen wird an Berlins erster Adresse Richtfest gefeiert.

Es ist eine typische Hauptstadt-Geschichte. Morgen wird an Berlins erster Adresse Richtfest gefeiert. Das Haus am Pariser Platz Nr. 4, vom Architektenteam Günther Behnisch / Werner Durth mit einer anspruchsvollen Glasfassade versehen, soll ab Sommer 2003 Hauptsitz der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Künste werden und diese wieder ins Zentrum der Aufmerksamkeit rücken.

Doch in dieser Woche wurde bekannt, dass die Finanzierung der Baufertigstellung keineswegs gesichert ist. Die ausführende Firma fordert mehr als sieben Millionen Euro Mehrkosten, der Senat stundet daraufhin vier Millionen, die in der Bausumme von 38 Millionen für Ausstattung und betriebliche Einbauten vorgesehen sind. Wenn es schlecht läuft, wird der Bau wegen der Streitigkeit nicht rechtzeitig fertig. Und die Akademie erhält ein Haus, das - ähnlich wie das Deutsche Technikmuseum - mangels Haustechnik und Ausstattung nicht benutzbar ist.

Alles wie gehabt. Man hätte gedacht, dass die Senatsbauverwaltung nach dem Debakel um die "Topographie des Terrors", nach der Tempodrom-Verteuerung und den Mehrkosten bei der Ausstattung des Jüdischen Museums vorsichtig geworden wäre. Aber nein: "Man rechnet so knapp wie möglich, nimmt die Firma, die am billigsten anbietet und kalkuliert ohne Pufferzone", kritisiert Akademie-Vizepräsident Matthias Flügge das Vorgehen der Verwaltung. Hinzu kommt, dass das Mietleasing-Verfahren, bei dem die Fundus-Gruppe als Investor auftritt, den Berliner Haushalt in den nächsten 20 Jahren 16 Millionen Euro an Zinsen kosten wird, wie Zahlen-Matadorin Alice Ströver im Haushaltsausschuss vorrechnet: Zinsgeld, das den Kulturhaushalt jährlich mit Millionensummen belastet. Von Erstausstattung und den Betriebsmitteln, die ein auf zwei Häuser erweiterter Betrieb verschlingt, ganz zu schweigen. Da geht es schon lange nicht mehr um die geplante "Luxusausstattung" mit Design-Bürostühlen und Liegestühlen auf der Dachterrasse. Flügge befürchtet: "Wir stehen vor der Situation, das Haus nicht einrichten zu können."

Auch Berlins Kultursenator Thomas Flierl kam nach der turbulenten Sitzung im Abgeordnetenhaus sichtbar ins Grübeln und kritisierte ungewohnt deutlich, dass das Richtfest für den Neubau gefeiert wird, ohne dass die Fertigstellung des Hauses finanziell gesichert sei. Das sei ein Zeichen "mangelhafter Vorsorge früherer Senatsverwaltungen."

Offensichtlich liegt in der Planung von vornherein der Wurm. Dass die Akademie nach ihrer Wiedervereinigung 1993 wieder an den ursprünglichen Ort am Pariser Platz zurückkehren sollte, darüber herrschte in der Nachwende-Euporie Einigkeit. Was das für den Bau am Hanseatenweg bedeutet, hat sich damals offensichtlich niemand überlegt. Erst recht nicht, als sich herausstellte, dass der Behnisch-Bau mit einem auf 78 Millionen Mark gedeckelten Bauetat nicht zu finanzieren war und ein Drittel des Geländes an das Adlon abgetreten wurde. Prompt war das Gebäude am Pariser Platz zu klein, um die Akademie vollständig zu beherbergen - ganz abgesehen davon, dass klassische Akademiefunktionen wie Werkstätten, Ateliers und Künstlerwohnungen am Pariser Platz nicht vorgesehen sind. Nun soll der Betriebshaushalt des einen Hauses für beide reichen.

Ob am Pariser Platz, mit Blick auf Reichstag, Brandenburger Tor und Adlon, tatsächlich Archive und Büros unterkommen müssen, hat zu Beginn der Planung offenbar niemand gefragt. Ex-Kultursenator Christoph Stölzl gibt zu, dass vieles, was in den 90er Jahren geplant wurde, vernünftigerweise nicht hätte weitergeführt werden dürfen. Auch Flierl kritisiert: "Die Tatsache, dass man Archive am teuersten Platz Berlins unter der Erde vergräbt, zeigt, dass hier Entscheidungen auf der Basis des klassischen Berliner Größenwahns getroffen wurden." Äußerungen, die nicht nur Akademiepräsident György Konrad auf die Palme bringen: "Auch Senatoren sind nicht abgelöst von der Pflicht, die Lage zu kennen", wettert er an die Adresse des gerade 100 Tage im Amt befindlichen PDS-Politikers. "Sie müssen nicht die ganze komplexe Vorgeschichte kennen. Aber sie könnten sich besser informieren."

Auch Präsidialsekretär Hans Gerhard Hannesen verteidigt die Entscheidung, mit einem Teil des Archivs an den Pariser Platz zu ziehen: "Dort gibt es unteriridisch bislang nur Tiefgaragen und Hotelküchen. Da sehe ich nicht ein, warum es größenwahnsinnig sein soll, eine kostbare Sammlung dort unterzubringen." Und Konrad legt nach: Unter dem Platz befinde sich übrigens noch ein riesiger Bunker. Wenn Senator Flierl sich betätigen wolle, solle er den doch irgendwie nutzen. Auf kreative Ideen sei er gespannt.

Die am wenigsten kreative Idee könnte in diesem Fall tatsächlich nutzen: Der Ruf nach dem Bund als Rettung, wenn in Berlin nichts mehr geht. Noch hofft Flierl wohl im Stillen, die Archivbestände, Deutschlands reichhaltigstes und spartenübergreifendes Kunstarchiv, an den Bund verscherbeln zu können - schon in diesem Jahr trägt er 50 Prozent der Kosten. Auch Gerhard Schröder bekundete Ende Dezember bei einem Fundraising-Dinner im Bundeskanzleramt, es sei richtig, "dass wir die Akademie der Künste nicht nur fordern, sondern auch fördern." Man sollte ihn beim Wort nehmen.

Gleichzeitig wird erneut gefordert, den repräsentativen Bau am Pariser Platz nicht mit der Akademie zu belegen, sondern renditebringend zu verkaufen oder zu vermieten. Denn die aktuelle Finanznot überdeckt nur das grundsätzliche Dilemma, dass unklar ist, wie sich die beiden Standorte zueinander verhalten sollen. Hier schieben sich Senatsverwaltung und Akademie gegenseitig den Schwarzen Peter zu. Die Akademie habe trotz wiederholter Anfragen bislang nicht deutlich machen können, wie sie den neuen Standort nutzen will, kritisieren Politiker quer durch die Parteien. Die Akademie wiederum pocht auf ihre Souveränität und gibt sich pragmatisch. Da die Veranstaltungs- und Ausstellungsräume am Hanseatenweg größer als die am Pariser Platz seien, werde man nach Quantität entscheiden.

Senator Flierl hingegen wünscht sich am Hanseatenweg einen "lebendigen Kulturort", der sich besonders der zeitgenössischen Kunst öffnen und auch für Ausstellungen akademiefremder Organisationen zur Verfügung stehen soll. Damit ließen sich zusätzliche Gelder eintreiben - eine Idee, die schon die frühere Kultursenatoren verfolgt hatten. Dass die Akademie längst kooperiert und vermietet, bleibt dabei unerwähnt. Und von der Souveränität der eigenen Programmgestaltung will Konrad keinesfalls lassen: "Wenn am Hanseatenweg jeder spielen kann, der will, widerspricht das dem Geist der Akademie. Hier soll nur stattfinden, was zur Akademie passt."

Das, was am Hanseatenweg stattfand, war in den letzten Jahren jedoch meistens vom Charme des verschlafenen Idylls geprägt. Die aktuelle Misere ist nicht nur der disparaten Stadtpolitik zuzuschreiben, darüber ist man sich auch am Hanseatenweg im Klaren: Sie ist das Symtom einer innerakademischen Krise. Dass auch die aufwändigeren Ausstellungsprojekte der Akademie in den letzten Jahren selten wirkliche Besuchermengen anzogen - Zahlen will die Akademie nicht nennen -, dass internationale Stars wie Cesc Gelabert vor halbleeren Sälen spielten, ist die schwarze Kehrseite einer Programm-Politik, die vielleicht allzu sehr auf Mitgliederinteressen und zu wenig auf wirkungsvolle Öffentlichkeitspräsentation gesetzt hat.

Zu lange schon behindern verkrustete Strukturen eine sinnvolle Programmarbeit. Die sechs Abteilungen, zuständig für Musik, Tanz, Architekur, Bildende Kunst, Literatur und Film, schalten und walten unabhängig voneinander. Ihre Sekretäre sind auf Lebenszeit berufen. Hier mehr Transparenz zu schaffen, war das Ziel, das sich Flügge bei seinem Amtsantritt 1997 gesetzt hatte: "Sonst altern wir kollektiv dem Ende entgegen."

Das wird man überprüfen können, wenn die Akademie am Wochenende zur rituellen halbjährlichen Mitgliederversammlung und der anschließenden "Langen Nacht" lädt. Akademie-Präsident György Konrad will seine oblitagorische "Treppenrede" aus aktuellem Anlass mit etwas "Arroganz im Namen der Künste" würzen. Er sollte nicht zu stark zur Pfefferbüchse greifen.

Christina Tilmann

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