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Kultur: Hinter dem Spießerspiegel

Überraschung aus dem Nachlass: Zeichnungen von George Grosz in der Berliner Galerie Brockstedt

Mit einem Messer bewaffnet lauert er hinter einem Spiegel, vor dem die leicht bekleidete Schöne gerade ihre Kopfbedeckung prüft. Auf dem berühmten Foto, das um 1920 in seinem Berliner Atelier entstand, inszeniert sich George Grosz als Meuchelmörder. Seine wahren Waffen aber waren die Rohrfedern, die Fettkreiden und die Tuschpinsel. Mit nur wenigen Linien fing Grosz die ganz alltägliche Tragödie des Daseins ein. Nicht nur die Enge und Verlogenheit des Bürgertums, sondern auch die Tragik am Rande der Gesellschaft: im Zirkus oder Bordellen. In Wirtshäusern beobachtete er die von Armut und Alkohol zerstörten Gesichter oder umriss die Trostlosigkeit einer alternden Variétékünstlerin.

Expressive Straßenszenen, politische Karikatur, sarkastische Milieustudien, pornographische Szenen – bei George Grosz liegt all das nah zusammen. „Tragik Groteske“ nennt dann auch der Berliner Galerist Boris Brockstedt die mit 60 Originalen äußerst reich bestückte Ausstellung. Drei Jahre Vorbereitungszeit waren nötig, die Zeichnungen und Gemälde zusammenzutragen – und auch ein Quäntchen Glück. Denn es ist die erste Grosz-Ausstellung, nachdem im Januar in New York ein sechsjähriger Prozess um die Besitzrechte von rund 300 Werken des Künstlers endete. Die Söhne von Grosz hatten den ehemaligen Nachlassverwalter, den Kunsthändler Serge Sebarsky, auf Herausgabe nichtabgerechneter Arbeiten verklagt – und gewonnen. Brockstedt hatte den jetzigen Nachlassverwalter Ralph Jentsch während des Prozesses beraten und nun die erste Wahl.

Die Ausstellung zeigt dann auch die ganze Kraft des 1893 als Georg Ehrenfried Gross geborenen Künstlers. Wie bei seinem Freund Otto Dix sind es auch bei Grosz oft die einfachen Leute, die er einfängt, etwa auf der Federzeichnung „Beim Frühstück“ aus dem Jahr 1921 (17 500 Euro). Die Frau sitzt mit starrem Blick am Küchentisch, grell geschminkt und bis auf den lose sitzenden Strumpf nackt, er hat die Rechte zur Faust geballt. Nur eine Fischgräte liegt zwischen den beiden, Fliegen surren herum. Ebenso pointiert wie detailgenau fängt Grosz die Szene ein, bis zum Fächer hinter dem Spiegel.

Keiner ist vor diesem Strich sicher. Die Scheinheiligkeit der Kirche etwa persifliert Grosz in der Person eines Priesters auf der Zeichnung „Das Vaterunser“ (1922, 24 000 Euro). Angesichts einer Hinrichtung hebt dieser nur die leeren Augen zum Himmel. Das Blatt ist die Vorlage für eine Lithografie, die später Eingang in die Antikriegs-Mappe „Ecce Homo“ fand. Auf einer anderen Zeichnung steht „Wucher“ auf dem Arm, der das Messer dem Arbeiter in den Rücken stößt. Ebenso wenig Raum zum Interpretieren lässt die Zeichnung „Die SPD und das Militär“ aus dem Jahr 1924 (14 000 Euro). Vor dem mit Maulkorb und Schloss ausgestatteten Soldaten geht der Politiker auf die Knie und küsst das Schwert.

Immer wieder musste sich Grosz wegen Vorwürfen der Gotteslästerung und Pornografie vor Gericht verteidigen, und als die Verfolgung zunahm, verließ er 1933 Deutschland schließlich ganz. Seine Emigration in die USA rettete ihm wohl das Leben: Die Überfahrt lag nur Wochen vor der Machtergreifung Hitlers. Danach wurde sein Berliner Atelier gestürmt, die Arbeiten galten als „entartet“.

1938 erhielt Grosz die amerikanische Staatsbürgerschaft, sein kritischer Blick aber ging dem Chronisten auch in der neuen Welt nicht verloren. Das beweist die Ausstellung in ihrem zweiten Teil, der die Jahre 1933 bis 1959 umfasst. Selbstverliebte „Intellektuelle“ sind hier zu sehen oder Illustrationen etwa für Ben Hechts’ Buch „1001 Afternoons in New York“ und die Zeitschrift „Esquire“ (um 6000 Euro). Eine Szene mit dem bissigen Titel „Birth of a legend“ zeigt die Nähe von Armut und Reichtum in der Subway, eine andere fängt den alternden Drogenabhängigen ein, der versucht, sich eine Spritze zu setzen. Misstrauisch blickt ein Polizist, der – so skizziert die durchbrochene Linie – im nächstem Moment die Waffe ziehen kann.

Grosz thematisiert aber auch seine eigene Rolle als Maler. Denn zum einen verkauft er in den USA nicht viel, obwohl das amerikanische Publikum seine Arbeiten aus den Zwanzigerjahren überaus schätzt und ihn 1948 Museumsdirektoren und Kritiker zu den zehn bedeutendsten lebenden amerikanischen Künstlern zählen. Aber vielleicht war der Blick in das eigene Spiegelbild doch unangenehm. Vor allem aber ändert sich die Kunst rapide, hin zur Abstraktion, der ein Weltverbesserer wie Grosz nicht folgen will. „The painter of the Hole“ nennt er ein Gemälde aus den Jahren 1948/50, auf dem er sich selbst vor zerfressenen Gemälden karikiert. Zehn Jahre später kehrt Grosz mit seiner Frau Eva nach Berlin zurück und bezieht im Juni 1959 eine Wohnung am Savignyplatz. Nur wenige Wochen später stirbt er nach einer durchzechten Nacht.

Galerie Brocksted, Mommsenstraße 59, bis 15. November; Dienstag bis Freitag 10 – 18 Uhr, Sonnabend 10 – 14 Uhr.

Zwischen November und Februar 2004 ist die Ausstellung in den Hamburger Galerieräumen zu sehen (Magdalenestraße 11). Der Katalog kostet 12 Euro.

Katrin Wittneven

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