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Wir wollen kein Mainstream sein. Die Berliner Rapper Audio88 (links) und Yassin.

© Alice Epp

Audio88 und Yassin: Rap aus Berlin: Ich pinkle deinen Benz an

Berliner Hip-Hop ohne Herrengedeck: Ein Treffen mit Audio88 und Yassin aus Anlass ihres Albums „Normaler Samt“. Am Freitag treten die beiden beim "Tapefabrik"-Festival auf.

Audio88 und Yassin empfangen in einem Kreuzberger Dachgeschoss. Es gibt Wasser und Softdrinks, der ansonsten karge Raum lässt nur wenig von den Sonnenstrahlen ahnen, die die Menschen unten auf der Straße in die Eisdielen treiben. Vier Jahre haben die beiden Wahlberliner an ihrem neuen Album „Normaler Samt“ gearbeitet. Dafür haben sie ihre Jobs in der Marketing- und Werbebranche aufgegeben.

„Unser Album klingt hoffentlich nicht so, als würden wir das machen, um davon leben zu können“, sagt Yassin, 30 Jahre alt, dunkles Haar mit grauen Strähnen. Ein ungewöhnlicher Satz für eine Szene, in der Statussymbole, Geld und Macht den Mainstream dominieren. Aber Mainstream wollen die beiden nicht sein.

Eine musikalische Revolution ist „Normaler Samt“ nicht. Zu nah ist ihr aggressiv-ironischer Rapstil, unterlegt mit minimalistischen Beats, dran an Vorbildern wie K.I.Z. und der Antilopengang. Der rote Faden: Die beiden Wahlberliner wollen mit derben Sprüchen provozieren, schmuggeln dabei aber immer wieder politische Inhalte mit ein. Die Strophen werden mehr gebrüllt als gerappt, Pointen hallen lange nach. Vor allem Audio88 alias Florian bedient sich dieses Stilmittels.

„Uns ist natürlich bewusst, dass es keine Top-Ten-Musik ist“, sagt Yassin. Tatsächlich würde „Normaler Samt“ an der Spitze der Charts recht deplatziert wirken. „Ich werde nie wieder gebildete Fremdwörter spitten, solange ,Wichser‘ und ,Fotze‘ noch die Konzertsäle füllen“, rappt Yassin auf dem Song „Das Orakel von Delfin“. Natürlich würde er. Schließlich ist es beiden von Anfang an nicht in erster Linie um Rap als Szenephänomen gegangen. Audio88 und Yassin wollten sich vor allem an gesellschaftlichen Diskursen abarbeiten. Sie sprechen von der „Verwertungsmaschinerie“ und von gesellschaftlicher Rezeption von Musik. Der rüpelhaft daherkommende, mit einem Schuss Gesellschaftskritik gespickte Stil zieht sich durch das Album: „Du blickst traurig aus dem hundertelften Stock deiner Bank, ich steh unten lächelnd vor deinem Benz und pisse ihn an“, rappt Yassin im Song „Täter oder Opfer“. Und der im Rap allgegenwärtige Sexismus, der sich auch auf „Normaler Samt“ wiederfindet?

„Ich war gespannt, ob so eine Frage kommt“, sagt Yassin und lacht. Klar bedienten sie sich eines Vokabulars, das in der Szene verankert sei. „Wenn ich zum Beispiel davon rappe, dass man Mütter in die Küche schickt, ist das eine Persiflage darauf, was man sonst alles mit Müttern macht.“ Sein Kalkül: „Mal gucken ob’s vielleicht verstanden wird.“ Mit „reflektiertem Sexismus“ könne man reale Missstände umso besser anprangern. „Das kann den Diskurs nur fördern“, ergänzt Audio88.

Geboren wurde er in Leverkusen und zog 1992 nach Cottbus. Dort wuchs der 32-Jährige auf und begann im Alter von 16 Jahren zu rappen. Es waren vor allem die Rapper Morlockk Dilemma, Hiob und Retrogott, die ihm zu erster Bekanntheit verhalfen. Mit Yassin, einem Deutschen algerischer Herkunft, kam er über einen gemeinsamen Bekannten in Kontakt. Nach ersten Erfolgen folgte 2010 ein Auftritt auf dem Splash-Festival, dem größten Hip-Hop-Festival Deutschlands. Von da an ging es bergauf. Mittlerweile haben sich der Produzent Torky Tork und der DJ Breaque zu ihrem Team gesellt. 2009 kam ihr Debütalbum „Zwei Herrengedeck, bitte“ heraus. Schon damals rappten Audio88 und Yassin mit dem Holzhammer. Feine Flow-Variationen und nachdenkliche, ruhige Stücke überlassen die zwei lieber anderen.

Ihr Album bezeichnen sie als Pop

An Produktivität mangelt es dagegen nicht. Schon ein Jahr später erschien der zweite Teil „Nochmal zwei Herrengedeck, bitte“ und im gleichen Jahr „Das Gleiche wie immer, bitte“. Nun haben sie erst einmal genug von der Kombination Bier und Schnaps. Der Titel ihres aktuellen Albums ist eine Anspielung auf das Album des Deutschrap-Übervaters Torch – „Blauer Samt“. Torch, so etwas wie der Hausgott der Szene, ist eigentlich untouchable. „Den fand ich nie gut“, sagt Audio88. Es gehe aber weniger um dessen Musik, sondern um den ideologischen Überbau, der sich schon allein in der Benutzung des Wortes „Übervater“ zeige.

„Popalbum“ nennen Audio88 und Yassin ihr neues Werk. Das ist nicht falsch, klingen doch vor allem die soliden Beats von Produzent Torky Tork recht mainstreamig. „Normaler Samt“ ist ihre bisher professionellste Platte. Auf namhafte Feature-Gäste haben die zwei dabei verzichtet, einzig Grim 104 vom Rap-Duo Zugezogen Maskulin dürfte Hörern, die sich sonst nicht mit Hip-Hop beschäftigen, ein Begriff sein. Das ist nicht weiter tragisch, denn auch die Gäste Döll, Mädness und Enoq machen einen guten Job.

Auch der Rundumschlag gegen Szenegrößen, gut versteckt in Anspielungen, Zitaten, Kalauern, ist so neu nicht. Und doch können die Rapper durchaus einen Platz im oberen Drittel der Szene beanspruchen. Das liegt auch daran, dass deutscher Hip-Hop momentan eine Durststrecke durchlebt. Gefühlte tausend Rapper drängen via Youtube oder Soundcloud ins sogenannte „Game“. Manchmal verliert da auch der größte Hip-Hop-Fan den Überblick. Sich in diesem Fahrwasser einen Namen zu machen, den die Fans auch nach drei Wochen noch behalten haben, ist nicht leicht. Audio88 und Yassin ist es gelungen.

Am heutigen Freitag treten sie im Astra Kulturhaus ab 23.30 Uhr auf, beim „Tapefabrik“-Festival, das um 18 Uhr beginnt.

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