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Kultur: Hirntrödel der Zivilisation

"Haben Sie einen Film im Kopf?" So fing das an, mit einer Einladung an "Menschen, die ihre Geschichten, Ideen und Visionen vor der Kamera erzählen und teilweise realisieren möchten.

"Haben Sie einen Film im Kopf?" So fing das an, mit einer Einladung an "Menschen, die ihre Geschichten, Ideen und Visionen vor der Kamera erzählen und teilweise realisieren möchten." Eine Zeitungsanzeige.Und "9 Monate, 113 Drehbücher, 78 Treatments, 204 Exposés und unzählige Geschichten später"...

Wer will das sehen? Wie sich herausstellt: elf Filme, aber in einem einzigen planvollen Durcheinander.Fragmente.Eine Collage.Tagträume.Nachtalpträume.Tagträume, die wie Nachtalpträume sind und umgekehrt, alles getrieben zu einer möglichst unerhörten Begebenheit, die von der Langeweile des Schlafens oder des Wachseins erlöst.Evasionen.Phantasien von Sonderlingen, die ineinanderklingen.Wer will das sehen, wer sucht in all dem seinen Lieblingsfilm und findet darin womöglich sich selbst?

Der Österreicher Michael Glawogger - die Hofer Filmtage zeigten unlängst seinen Dokumentarfilm "Megacities", eine (Alp-) Traumreise durch die real existierenden Elendsmetropolen - hat diesmal den ungelebten Schutt zusammengekehrt, Hirntrödel der Hochzivilisation, aufpoliert und ausgestellt in der dreizehnten Kammer, Eintritt fast frei.Da ist der Schuhfetischist, der nichts zu bebildern hat als seinen Schuhfetischismus; da ist die Köchin, die - Roald Dahl läßt grüßen - ihren Kerl zum Fressen gern hat; da ist der Straßenbahnschaffner und Hauptdarsteller in seinem nie gedrehten Film, eine rätselhafte Frau steigt ein und zieht ihn mit sich und in ein Drogengeschäft und in mehr und mehr, woraus er nicht mehr zurückfindet in seine gute, alte Straßenbahn (und in einen stimmigen Filmschluß noch weniger)...

Manche dieser Geschichten gehen auf, bevor sie aufgehen, schließen sich schon, bevor sie sich entfaltet haben.Andere erheben sich zu einem großen Stoff wie jene vom Wunderheiler, dem die Zauberkräfte so unvermutet entschwinden, wie sie ihn überkamen, und fallen zu einem vorzeitigen Happy End in sich zusammen.Andere bebildern Kafka, sehr kühl, und sprechen seine Prosa ausschließlich aus dem Off.Und einer läßt einen verkrachten Romancier Geld gewinnen, nach Osteuropa reisen, in ein paar Begegnungen geraten, und irgendwann ist er wieder allein.Also gut, das ist mein Lieblingsfilm.Während Glawogger die höchst unterschiedlichen Mäander seiner Filmträumer abschritt - eine Trash-Horror-Soap ist ebenso dabei wie eine Vampirella-Story -, habe ich amüsiert mitgefiebert mit diesem Romantiker mit Diktaphon, dem der eigene Text simultan zum Bild gerät.Manchmal erlaubt er seiner Erfindung sogar, ihm ein Schnippchen zu schlagen."Gute Idee", kommentiert der Dichter dann seine vorauseilenden Bilder.

Wenn etwas fehlt in diesem Regalfilm alltäglichster Phantasien, dann die Neugier Glawoggers auf die Motive seiner selbsterträumten Regisseure.Was macht, daß einer einen Film im Kopf hat, daß er gefesselt ist von dieser Idee und sogar auf eine Kleinanzeige antwortet, die sonstwohin führen kann? Wie leben diese Leute, wie viel deutet auf ihre Erfinderlust hin? Doch Glawogger kümmert sich, ebenso wie in "Megacities", nicht um die Enzyklopädie der offenen Fragen.Er stellt seine Helden nur vor ihre Filmschnipsel und läßt sie streng zum Thema reden.Und dann sind nur noch ihre Bilder da.Beunruhigend anonym: Es könnten unsere eigenen sein.

Im Berliner Kino "Brotfabrik"

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