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Historiker: Passion für die deutsche Geschichte

Die Irrungen und Wirrungen der neueren deutschen Geschichte sind es, die ihn am meisten faszinieren. Zum 70. Geburtstag des Historikers Heinrich August Winkler.

Dass ein Professor dem Wortsinn nach ein Bekenner sei, mag nur eine sehr freie Übersetzung sein. Dass aber der Historiker Heinrich August Winkler seine Profession immer auch als öffentliche Aufgabe begriff, ist offenkundig; Zeitungen, Rundfunkanstalten und Diskussionspodien, ja, die Öffentlichkeit insgesamt haben davon profitiert. Doch ein Professor im klassischen Sinn war er stets auch. Das bezeugt ein eindrucksvolles Werk, das einen Schwerpunkt bei der Weimarer Republik hat, sich aber stets auch der Herausforderung der Deutung des gesamten schwierigen Zusammenhangs der neueren deutschen Geschichte gestellt hat.

Was deutlich macht, dass Winkler ein herausragender Vertreter jener Hochschullehrer ist, bei denen Wissenschaft und Zeitgenossenschaft eine fruchtbare Verbindung eingehen – und ein Exempel dafür, wie sehr diese Haltung in den letzten Jahrzehnten gerade die deutsche Geschichtswissenschaft geprägt hat. Seine Aufgeschlossenheit gegenüber den Wandlungen der Wissenschaft ging immer zusammen mit der Überzeugung, dass Geschichte auch politische Bildung sei. Es sind ja auch die Irrungen und Wirrungen der neueren deutschen Geschichte, die ihn vor allem fasziniert, ja, umgetrieben haben. „Der lange Weg nach Westen“ heißt programmatisch sein Hauptwerk, das eine Deutung dieser Geschichte vom Alten Reich bis zum neuen, wiedervereinigten Deutschland anbietet.

In diesem Profil steckt eine intellektuelle Biografie, in der die Zeitgeschichte selbst ihre Spuren hinterlassen hat – die Nachkriegszeit und ihre Hypotheken, das Erwachsenwerden der Bundesrepublik, schließlich der Abschied von ihrer westdeutschen Gestalt. Der Flüchtling aus Ostpreußen, aufgewachsen in Baden-Württemberg, beginnt als Student in Tübingen noch bei Hans Rothfels, dem einstigen Ordinarius in Königsberg, der nach 1945 aus der Emigration nach Deutschland zurückkehrt. Ein Vierteljahrhundert später reagiert Winkler, seit bald 20 Jahren Professor in Freiburg, auf die Wende mit dem Wechsel an die Humboldt-Universität in Berlin.

Dabei hatte Winkler wie viele intellektuelle Ärzte am Krankenbett der Nation dieser schließlich die Diagnose der Zweistaatlichkeit gestellt. Doch gehörte er auch zu den nicht sehr vielen, die sich danach fragten, ob ihre Absage an den Nationalstaat „nicht vielleicht sogar ein halb bewusster, halb unbewusster Versuch (war), dem schrecklichsten Kapitel der deutschen Geschichte ein für allemal zu entkommen“. Also eine Spielart jener Flucht vor der Vergangenheit, gegen die die Historiker nach 1945 gerade angetreten waren.

Mit alledem hat Winkler dazu beigetragen, den Deutschen ein Bild ihrer Geschichte zu geben, mit dem sie leben können. Das ist viel für ein Historikerleben, und setzt Masstäbe. Es ist gekennzeichnet durch das Ende der deutschen Sonderwege, auch durch den unerwarteten Friedensschluss mit dem Nationalstaat, bei dem freilich die Geschichte selbst dem Historiker wie uns allen geholfen hat. Es eröffnet ihm und uns größere Horizont. Sein neuestes Vorhaben ist eine „Geschichte des Westens“, die der Entstehung der westlichen Wertegemeinschaft gewidmet ist. Es wächst schon dem zweiten Band entgegen. - An diesem Freitag wird Heinrich August Winkler 70 Jahre alt. 

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