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Historische Häuserräumung in Friedrichshain: Rauswurf aus Barackia

Steigende Mieten, Immobilienspekulation, Gentrifizierung - Berlin diskutiert nach der Räumung von Liebig 14 über seine stadtplanerische Zukunft. Doch das Problem der Verdrängung ist nicht neu: Bereits 1872 räumte die Polizei vor dem Landsberger Tor eine illegale Laubenkolonie ab.

Bei der Räumung der illegalen Siedlung in Friedrichshain hält sich die Polizei zurück, obwohl 200 Mann aufmarschiert sind. Sie sichern nur die Szene, die Hauptarbeit macht die Feuerwehr. Am 27. August 1872 vertreiben die Uniformierten die Bewohner aus ihren Wohnlauben vor dem Landsberger Tor und reißen 21 Baracken ab.

Wie der Berliner Historiker Kurt Wernicke schreibt, war die Bitte um Aufschub, die der Schuhmachermeister Albert Haack aus der Baracke „2. Reihe, 1. Bude“ zuvor im Namen von 42 „ehrlichen und strebsamen Männern und Frauen“ sowie 59 Kindern an Kaiser Wilhelm I. persönlich gerichtet hatte, ungehört geblieben.

Es sind bewegte Zeiten nach dem gewonnenen Krieg gegen Frankreich. Es ist viel Geld im Markt, die Börse boomt, das Immobiliengeschäft läuft prächtig. „Ein Heer von Directoren und Verwaltungsräthen, Banquiers und Maklern, Procuristen und Agenten wuchs empor“, schreibt eine Illustrierte. „Den Gründern oder Börsianern war keine Wohnung zu theuer; sie überboten sich in den Preisen; sie verdrängten die bisherigen Insassen und trieben die Miethen systematisch in die Höhe. Die Gründer und Börsianer setzten sich in den schönsten Straßen fest, nahmen die vornehmsten Quartiere in Beschlag; viele von diesen Leuten zahlten an Miethe 6000 bis 20 000 Thaler jährlich.“

Während die Besserverdienenden sich ihre Luxusapartments einrichten, herrscht Wohnungsnot beim Prekariat. Die Illustrierte berichtet von einem Tuchwalker, dessen Vermieter für ein Kellerloch mit Küche in der Kreuzberger Adalbertstraße plötzlich 90 Taler Jahresmiete verlangt – „Das bin ich nicht im Stande, und drunter giebt es nicht.“ Was konnte er also tun? Wie hunderte Berliner in ähnlicher Situation zog der Tuchwalker mit Frau und Kind in eine Hüttensiedlung am Stadtrand, von denen ab 1871 mehrere entstanden, am flächendeckendsten am Landsberger Tor, auf dem Tempelhofer Feld und auf einer Wiese am Kottbusser Damm. Letztere Siedlung hieß „Barackia“: „eine Anzahl von rohen Holzhütten, meist aus ungehobelten Brettern zusammengeschlagen, ähnlich den Buden der Kaufleute auf Jahrmärkten“.

Die neuen Quartiere werden zur Attraktion, schreibt ein anderer zeitgenössischer Journalist: „Wie zu einem Schauspiele wallfahrteten die Berliner hinaus, und die Zeitungen schilderten die ‚Barackia’ in farbigen, launigen Feuilletons.“ Denen zufolge geht es bei den Verdrängten durchaus gesittet zu: Die Hütten sind liebevoll eingerichtet und gepflegt, „die Männer arbeiteten, die Frauen waren einfach, aber sauber gekleidet, die Kinder sahen gesund und reinlich aus“. Sogar eine funktionierende Selbstverwaltung etabliert sich unter den Kolonisten. Bevor die sogenannte „Freistadt“ oder „Republik“ Barackia sich jedoch verfestigen kann, wird sie schon wieder aufgelöst. Der offizielle Grund: Nichtbeachtung der Bauvorschriften. Denn ohne Bauantrag mit beigefügter Zeichnung durfte in Preußen kein Gebäude errichtet werden, auch keine Bretterbude. „Mit Feuer und Schwert“ werden die derart kriminalisierten Siedlungen geräumt, die Bewohner protestieren, es fliegen Steine, Gendarmen hauen mit dem Säbel zu. Heute wäre so etwas unvorstellbar.

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