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Kultur: Hitchcock in der Oper

Mit weißer Perücke und grauem Kostüm hat Paul die Tänzerin Marietta zum grotesken Zerrbild seiner Sehnsüchte ausgestattet.Nun gleicht sie seiner verstorbenen Frau Marie, die er kultisch verehrt.

Mit weißer Perücke und grauem Kostüm hat Paul die Tänzerin Marietta zum grotesken Zerrbild seiner Sehnsüchte ausgestattet.Nun gleicht sie seiner verstorbenen Frau Marie, die er kultisch verehrt.Marietta ist auf einen Stuhl gefesselt, sie kann sich nicht mehr wehren gegen diese Erniedrigung.Paul macht ein Polaroidfoto von seinem Opfer und singt dazu von "Vergessenheit" und "süßem Rausch".An die Einkleidungsszene aus Alfred Hitchcocks Film "Vertigo" erinnert das letzte, schockhafte Bild vor der Pause in Günter Krämers Inszenierung von Erich Wolfgang Korngolds Jugendstil-Oper "Die tote Stadt".Der ganze Abend zieht vorüber wie leicht überbelichtete Filmbilder.In Überblendungen und Schnitten wird die Geschichte erzählt vom Witwer Paul, der in kultischer Verehrung seiner verstorbenen Frau Marie Realität und Illusison nicht mehr auseinanderhalten kann.Vom "Wunder der Ähnlichkeit" überwältigt, will er die ahnungslose Tänzerin Marietta zum Ebenbild Maries machen.Dabei ist die Tote immer anwesend, als Büste, als Perücke, ihre Schuhe stehen in Pauls Wohnung, ihre Fotos hängen an den Wänden.Wie Kim Novak im strengen grauen Kostüm sieht sie aus, als sie schließlich erscheint.Hier greift Regisseur Günter Krämer am stärksten in das Werk ein.Eigentlich tritt die Tote nur ganz kurz als Vision Pauls auf.In der Kölner Neuinszenierung jedoch kämpft sie mit Marietta um die Liebe ihres Mannes.Die Handlung kulminiert in einem Todestanz zu Dritt, in dem schließlich Paul Marietta erwürgt.

Martin Warth hat für dieses facettenreiche Traumspiel stark abstrahierte Bühnenbilder bauen lassen.Nur ein schmaler Streifen an der Rampe ist klar sichtbar, schon die Tiefe von Pauls Wohnung verschwimmt durch einen Gazevorhang.Jalousien lassen nur gedämpftes Licht herein, ein Hausaltar am linken Bühnenrand erinnert an die Tote.Pseudeorealistischer Brügge-Kitsch ist völlig eliminiert, statt dessen öffnet sich immer wieder der Spielraum in die Bühnentiefe, aus dem die Tote kommt, in den sie auch spukhaft wieder verschwindet.Der Spannungsfaden reißt nie ab, denn durch lautlose Umbauten der perfekten Bühnentechnik stehen immer wieder überraschende Requisiten auf der Bühne.Die grandiose Lichtregie von Fabrice Kebour sorgt dabei mit grün- und blaustichiger Beleuchtung für überwältigende Gruseleffekte.

Um die Konflikte zu verschärfen und "Die tote Stadt" zum Thriller zu machen, greift Krämer stark in die Handlung ein.So mutiert die liebevolle Haushälterin Brigitta zum Hausdrachen aus Hitchcocks "Rebecca", auch sie will mit allen Mitteln das Andenken der Toten gewahrt wissen.Entsprechend ist die Szene ihres Eintritts in ein Beginenkloster gestrichen.Auch reicht es Krämer nicht, daß Paul seinem Freund Frank den Schlüssel zu Mariettas Wohnung nur entreißt, er muß ihn gleich erschießen.Nicht jede dieser Verschärfungen scheint unbedingt nötig, aber Krämer schafft mit seinen Eingriffen einen spannenden Theaterabend über Visionen und Realitätsverlust aus eigenem Recht.Das gelingt ihm selbstverständlich nur, weil er ein ausgezeichnetes Ensemble zur Verfügung hat.Hubert Delamboye singt die mörderische Partie des Paul strahlend und elegant.Selbst am Ende des dritten Akts hat er noch Kraftreserven.Das Vergnügen an Nina Warrens lebenslustiger Marietta wird zwar zu Beginn von deutlichen Intonationsproblemen überschattet, im Verlauf des Abends gewinnt sie aber an Intensität.Die nötige Süße fügt das Gürzenichorchester unter Philippe Auguin hinzu.Die Musik bleibt detailreich in langsamen Fluß, ohne in die Hollywoodklischees der Klangspektakel abzugleiten.Dennoch waren nach der Pause manche Reihen gelichtet: weil bei völliger Textunverständlichkeit der Sänger auch die spannendste Handlung für viele Zuschauer ein Rätsel bleibt.

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