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Kultur: Hitler kam keinem Angriff zuvor

Historische Mythen sind bekanntlich sehr langlebig. Das gilt auch für die berühmt-berüchtigte Präventivkriegsthese, die von ihren Anhängern - trotz gegenteiliger Faktenlage - mit Inbrunst vorgetragen wird.

Historische Mythen sind bekanntlich sehr langlebig. Das gilt auch für die berühmt-berüchtigte Präventivkriegsthese, die von ihren Anhängern - trotz gegenteiliger Faktenlage - mit Inbrunst vorgetragen wird. Dabei geht es um die durch einseitige Quellenauswahl und -deutung "untermauerte" Behauptung, dass Hitler mit seinem Überfall auf die UdSSR nur einem bevorstehenden und von ihm (angeblich) erwarteten Angriff auf Deutschland durch den "Bolschewismus" zuvorgekommen wäre.

Der nun vorliegende Sammelband der Konstanzer Osteuropa-Historikerin Pietrow-Ennker räumt (hoffentlich) ein für alle Mal auf mit dieser absurden Legende. Die letztlich aus der Goebbelschen Propagandaschmiede stammende Demagogie hat gerade nach dem Untergang der UdSSR wieder Anhänger gefunden. Dies hängt vor allem mit der nach dem Scheitern der sowjetischen Geschichte notwendigen Neubewertung zusammen, die mitunter zur unkritischen Dämonisierung der UdSSR geführt hat - bis hin zum Bild der UdSSR als dem eigentlichen Aggressor.

In den 15 Aufsätzen wird die Beweisführung der Anhänger der Präventivskriegsthese anschaulich und überzeugend widerlegt. Es zeigt sich: Die UdSSR war nach der Politik der "Großen Säuberungen", der zwischen 1937 und 1941 wohl 55.000 Angehörige der Roten Armee zum Opfer gefallen sind, objektiv weder personell noch moralisch in der Lage, Angriffsabsichten zu verfolgen. Auch hat es bei ihr auf keiner Ebene Pläne über die Führung eines Präventivschlags gegeben. Umgekehrt war 1940/41 ihre erste strategische Verteidigungslinie eine einzige "Baustelle", die nie und nimmer einen Angriff auf Deutschland ermöglicht hätte.

Dagegen sind die quellenmäßig bezeugten Eroberungsabsichten von Lebensraum im Osten durch Adolf Hitler längst Legion. Sie reichen von "Mein Kampf" aus dem Jahre 1925 bis hin zur Weisung 21 vom 18. Dezember 1940 "Barbarossa", in der die Durchführung des Angriffs- und Vernichtungskrieges in Osteuropa auf die Tagesordnung gesetzt wurde. Der deutsche Überfall auf die UdSSR erfolgte schließlich am 22. Juni 1941 und traf Josef Stalin trotz zahlreicher Geheimdienstmeldungen von einem unmittelbar bevorstehenden Angriff der Deutschen unerwartet.Bianka Pietrow-Ennker (Hrsg.): Präventivkrieg? Der deutsche Angriff auf die Sowjetunion. Fischer, Frankfurt am Main 2000. 218 Seiten. 19,90 DM.

Gerald Glaubitz

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