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Triumph der Fälschung. Der Fackelzug durchs Tor, wie ihn die Nazis nachträglich für einen Propagandafilm inszenierten.

© picture-alliance / akg-images

Hitlers Machtübernahme: Januar 1933: Propaganda und Wirklichkeit

Man hätte es wissen können: Propaganda und Praxis waren bei den Nazis von Anfang an eins. Wie Hitler durch mediale Manipulation historische Ereignisse für sich besetzte.

Von Caroline Fetscher

Verwackelte, verwaschene Aufnahmen. Weiter war visuell nichts entstanden, als Kolonnen uniformierter Nationalsozialisten der SA, der SS und des Stahlhelms in der eiskalten Nacht vom 30. Januar 1933 durch das Brandenburger Tor marschierten, das Preußens Wahrzeichen darstellte. Rasch hatte das Radio die Nachricht vom Machtwechsel in das politisch gärende Land mit seinen Millionen Arbeitslosen getragen.

Aber die emblematischen Bilder, mit denen die Nacht der Fackelzüge als der historische Moment fixiert werden sollte, in dem die Weimarer Republik ausgelöscht wurde, die Bilder waren wenig beeindruckend. Im Sommer des Jahres 1933 ließ daher Propagandaminister Joseph Goebbels für das Propagandaepos „SA-Mann Brand“ der Bavaria Film AG die Szenen nachstellen und nachdrehen. Jetzt marschierten die Kolonnen zum Spiel von Hell und Dunkel durch das ausgeleuchtete Tor, vorbei an Spalieren mit „Hitlergruß“ salutierender Zuschauer. Bei genauem Hinsehen erkennt man, dass sich da keine Massen am Straßenrand drängten, doch Goebbels war es auf den Gesamteindruck angekommen. Der mächtigen Ästhetik visueller Repräsentationen sollte und wollte sich das im Januar 1933 anbrechende „Dritte Reich“ von Beginn an bedienen.

So sah es wirklich aus. Ein Originalfoto vom 30. Januar 1933.
So sah es wirklich aus. Ein Originalfoto vom 30. Januar 1933.

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Eindringlicher als die im „Volksempfänger“ übertragenen Reden der neuen, kriminellen Elite konnten die Bilder in den Wochenschauen und der illustrierten, gleichgeschalteten Presse vermitteln, worum es geht. Hier, sagten die Bilder, sind Massen auf der Straße, und wer sich nicht anschließt, wird erbarmungslos ausgeschlossen. Goebbels hoffte von der Propaganda dieser Tage und Wochen, sie werde sich „unverlöschlich in das Gedächtnis der lebenden Generation“ einprägen. Der 30. Januar bildete den Auftakt zur antijüdischen und antisozialistischen „Umwälzung“, wie sie die NSDAP jahrelang versprochen hatte, und im Imago vom usurpierten Brandenburger Tor verdichteten sich bereits sämtliche Kernelemente der NS-Propaganda.

Deren Schnittmenge mit der NS-Praxis war weitaus größer, als viele Zeitgenossen später einräumen wollten. Am Einbinden des Brandenburger Tors in die Inszenierung wird erkennbar, wie auf das symbolische Besetzen historischer Markierungen geachtet wurde. Das Nachstellen der Szenen passiert unter Zugriff auf visuelle, mediale Manipulation; Zentrum der Szene sind die mobilisierten, unbremsbaren Massen, durch die Fackeln flackert der Aspekt des Archaischen auf.

An den Flammen sollte sich die Fantasie entzünden, es handle es sich um einen uralten, rituellen Triumphzug. Hochmoderne Technik dient dem Evozieren vorgeschichtlicher Machtdemonstration.

Systematisch sollten Kinder für die martialische Dunkelkammer der Nazis gewonnen werden

Triumph der Fälschung. Der Fackelzug durchs Tor, wie ihn die Nazis nachträglich für einen Propagandafilm inszenierten.
Triumph der Fälschung. Der Fackelzug durchs Tor, wie ihn die Nazis nachträglich für einen Propagandafilm inszenierten.

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Bei der Bücherverbrennung am 10. Mai 1933 – ebenfalls eine Szene mit Nacht und Feuer – erklärte Goebbels in Berlin, das „Zeitalter eines überspitzten jüdischen Intellektualismus“ sei „nun zu Ende“, und deutlich kündigt die NSDAP der Aufklärung, der freien Wissenschaft den Kampf an. Ihre ersten, großen Massenveranstaltungen im Dienst der angekündigten ethischen Umnachtung geschahen nicht zufällig als inszenierte Macht- wie Nachtergreifung vor der Kulisse der Dunkelheit, die im Spiel mit punktueller Erhellung drastische Kontraste ermöglicht. Mit brachialer Vehemenz wurden Sphären des Dunklen, Unbewussten und Amoralischen für die millionenfach reproduzierten Bühnenbilder des Regimes heraufbeschworen und in Szene gesetzt. Von der Atmosphäre dieser Bilderwelten war alles in der NS-Gesellschaft kontaminiert, auch die vermeintlich sonnigen Seiten des Totalitären, wie sie etwa mit „Kraft durch Freude“-Aktionen produziert werden sollten.

Relevant ist in diesem Kontext, dass sich „SA-Mann Brand“, für den Goebbels die Szenen am Brandenburger Tor nachstellen ließ, gezielt an Kinder und Jugendliche richtete. In einem Mietshaus leben zwei Familien, eine sozialdemokratisch, eine kommunistisch. Fritz, der Sohn des SPD-Vaters, engagiert sich dem Vater zum Trotz in der SA, und die Tochter des Kommunisten erwärmt sich für Fritz. Gegen den Widerstand der Eltern finden sie zueinander – und zur „Partei“. Dann kann die SA marschieren und können Oppositionelle verhaftet werden. Auch dabei überlagern einander Propaganda und Praxis. Im Sommer 1933 wurden längst Hunderte von Hitlers Gegnern in Kellern zu Tode gefoltert. Die SA verkaufte Postkarten mit Fotografien spektakulärer Festnahmen, und Ende April 1933 war ein Abschreckungsfilm über „Schutzhaftlager“ für Feinde der „Volksgemeinschaft“ in regionalen Kinos gelaufen.

Systematisch sollten vor allem Kinder und Jugendliche für die martialische Dunkelkammer des Nationalsozialismus gewonnen werden. Wie die Gleichschaltung dieser Generation durch das Bombardement mit dumpfen Bildern und Begriffen („völkischer Rassesinn“, „Mysterium der deutschen Seele“, „Wehrerziehung“) vor sich ging, schilderte Erika Mann schon 1938 in ihrer kritischen Studie „Zehn Millionen Kinder. Die Erziehung der Jugend im Dritten Reich“. Das detailliert recherchierte Buch erschien, versehen mit einem Vorwort von Thomas Mann, in einem Amsterdamer Exilverlag. Erst 1965 kam „Zehn Millionen Kinder“ in der Bundesrepublik heraus.

Fotografien und bewegte Bilder der geschlossenen Masse sowie ihrer isolierten Widersacher boten ab 1933 der Öffentlichkeit die Erfüllung dessen, was zuvor verheißen worden war, wie etwa am 27. Juli 1932, als der Wahlkämpfer Adolf Hitler in Eberswalde bei Berlin auftrat. Üppiges Eichenlaub schmückte das Rednerpult und umrahmte das darauf genagelte Hakenkreuz. Vor den Kameras brüllte der Redner dem jubelnden Publikum seine Meinung zu Weimars Demokraten zu: „Die Herren haben ganz recht, wir sind intolerant. Ich habe mir ein Ziel gestellt, nämlich die dreißig Parteien aus Deutschland hinauszufegen.“ Seine Partei und er habe sich ein Ziel gewählt, erklärte er, und verfechte es „fanatisch, rücksichtslos bis ins Grab hinein!“

Gedreht wurde für die Kinos, Wahlwerbung im Radio war in der Weimarer Zeit nicht gestattet. Doch das Projekt war in Wort und Bild skizziert: Sabotage der Demokratie, Unterminierung des Rechtsstaats, Pervertierung der Gesellschaft. Ein halbes Jahr nach der Rede in Eberswalde und vielen Dutzend mehr im ganzen Land marschierten die braunen Horden durch das preußische Tor.

Der 30. Januar 1933 markiert die destruktivste Zäsur der Weltgeschichte. Vor achtzig Jahren marschierte durch das Brandenburger Tor ein Teil der künftigen Täter.

Solche ins Bild gesetzten Szenen hatten an das Unbewusste appelliert. Die asoziale, antisemitische Hässlichkeit der Umnachtung, die der Nationalsozialismus Deutschland und der Welt brachte, war hochgradig bewusst und manipulativ hergestellt worden, mit aller Kälte gewollt, von Anfang an.

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