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Kultur: Hoch auf demselben Wagen

Peter Zadek fährt am Deutschen Theater Berlin Brechts „Mutter Courage und ihre Kinder“ an die Wand

Plötzlich weht ein schärferer Wind. Plötzlich kommt so ein Ton auf, der vertraut klingt und zugleich bedrohlich. Wir sind am Ende. Bald dreieinhalb Stunden Kriegsgewese und Friedensbotschaften liegen hinter uns, als Jutta Wachowiak aus der Proszeniumsloge herunterkommt, wo sie den Abend als Ansagerin – und bessere Souffleuse – verbracht hat, und ins Geschehen eingreift. Sie spielt die Bäuerin, deren Stoßgebet die stumme Kattrin mit der Trommel aufs Dach treibt: Die schlafende Protestantenstadt Halle wird vor einem Massaker bewahrt, die Nacht-und-Nebel-Aktion der katholischen Truppen scheitert. Mit einem Mal hören wir Brecht, metallisch und durchdringend, doch Peter Zadeks Spiel mit „Mutter Courage und ihren Kindern“ am Deutschen Theater Berlin ist aus. Die liebe Seele hat Ruh’.

Da sitzen wir, bei Brecht offenbar unvermeidlich, in der Traditionsfalle, und der kurze, starke Auftritt der Jutta Wachowiak führt eher noch hinein als hinaus. Denn sie kann es. Sie hat Brecht mit der Muttermilch eingesogen in der DDR. Ihr nimmt man die Nostalgie, die in ihrem Gestus mitschwingt, gern ab, nicht aber dem inzwischen 77-jährigen Zadek, der – nach einem total verunglückten „Jasager“ vor einigen Jahren am Berliner Ensemble – nun erst das zweite BrechtStück in seinem überreichen Theaterleben riskiert hat.

Warum die „Courage“? Ursprünglich wollte Zadek hier „Medea“ inszenieren, und nun ist es dieses andere Mutter-Drama geworden, wegen der Weltlage, wegen George W. Bush. Um mit diesem Missverständnis gleich aufzuräumen: Von einer Aktualität der am Vorabend des Zweiten Weltkriegs entstandenen „Chronik aus dem Dreißigjährigen Krieg“ spürt man nichts. Außer vielleicht, dass die Soldateska mal maulig Kaugummi kaut (GIs!?) und die Kostüme von Dorothee Uhrmacher irgendwie angloamerikanisch aussehen, mit albern-klappernden Brustpanzern drüber.

Zadek fasst den Text mit spitzen Fingern an, als wär’s ein kostbares, zerbrechliches Museumsstück. Die Grundanlage ist stark historisierend – mit der halben Brecht-Gardine, dem notorischen Karren der Courage. 1950 wurde „Mutter Courage und ihre Kinder“ von Brecht selbst am Deutschen Theater inszeniert. Es war gleichsam der Gründungsmythos des Berliner Ensembles, das 1954 ins Theater am Schiffbauerdamm umzog. Brecht blieben dort ganze zwei Jahre bis zu seinem Tod.

Das ist lang her – und spukt wohl noch in den Köpfen. Zadeks Bühnenbildner Karl Kneidl lässt die Spielfläche kahl und leer, bloß der im Lauf der Zeit anwachsende Müllhaufen ist heutige Zugabe. Auch Paul Dessaus Musik erklingt unverfremdet. Man muss sich wirklich wundern über diesen ungebrochenen, fast schon heiligen Respekt vor Brecht, mit dem Zadek sonst ja nie etwas anfangen konnte. Seine übertriebene Vorsicht hat fatale Folgen: Der Krieg wird gemütlich, Zadeks Aufzüge wirken puppentheaterhaft.

Auch wenn es Blasphemie ist, schlimmstes Sakrileg, es drängen sich drei Fragen auf. Erstens: Ist „Mutter Courage“ wirklich ein so gutes Stück, wie der Klassikerstatus glauben macht? Zweitens: Kommt Zadek die Lust (und die Kraft) allmählich abhanden, große Abende in Szene zu setzen; seine letzten Wiener Arbeiten („Der Jude von Malta, „Die Nacht des Leguan“) waren auch schon arg schwach und matt. Und drittens: Ist Angela Winkler die Richtige für die Courage?

Sie sitzt hoch auf demselben Wagen wie einst Helene Weigel (die Ur-Mutter fährt wie ein Geist immer mit) und singt mit glockenheller Stimme. Angela Winklers Waffe, ihre einzige Waffe – ist ihr Lachen, ihr verzweifeltes Lachen. Was auch geschieht, wie ihr auch die Kinder unterm Hintern weggeschossen und weggenommen werden, sie lässt sich nicht verdüstern. Sie will nicht (und kann nicht) das Monster sein, das der Krieg aus der Courage macht. Sie singt und spricht das Publikum frontal an, als wolle sie sich zuweilen entschuldigen für die Härte, die Brecht ihrer Rolle nun einmal abverlangt. Und diese Härte, dieser gnadenlose Nihilismus ist dem Theater abhanden gekommen. Als stünde vor der Klammer, vor dem gesamten Courage-Text ein dickes: Es war einmal.

Brechts Weltbild war ja auch kokett in seiner Vereinfachung, denn das Publikum sollte was lernen im kaputten Deutschland. Nun purzeln die Lehrsätze vom Krieg als Rabenvater aller Dinge wie trockene Blätter vom Baum der späten Erkenntnis. Und Zadek, statt Brecht wenigstens diese altfränkische Marotte zu nehmen, unterstreicht noch das Gekünstelt-Mundartliche der Kriegsleut’. Wie Vadim Glowna als Feldkoch Pieter kehlig hollandisiert und Dessau knödelt, berührt gelegentlich die Grenze des Peinlichen. Man gewinnt den Eindruck, dass tolle Schauspieler angetreten sind, die „Mutter Courage“ zur Schindmähre zu reiten. Susanne Lothar als Prostituierte Yvette Pottier: wie outriert sie zwitschert und keift. Friedrich-Karl Prätorius als Feldprediger: Erst entlarvt er seinen Pfaffen als windigen Schwätzer, und dann ist er nicht mehr zu halten. Übernimmt den Abend, als spielte er die Hauptrolle – der Possenreißer vor dem Herrn.

Womöglich, der Verdacht drängt sich mehr und mehr auf, gab es in dieser Produktion gar keinen Herrn und keine ordnende Regie. Die Schauspieler waren irgendwann auf sich allein gestellt und traten die Flucht nach vorne an. Zadeks legendäre ruhige Hand – ließ sie den Karren an die Wand fahren? Eine Szene gleicht der anderen, ein Rhythmus stellt sich nicht her, und der alte Zadek-Trick, das Saallicht einzuschalten, funktioniert nur mehr als Bremse.

Claus Peymanns „Mutter“ am Berliner Ensemble ist aus anderem Holz geschnitzt. Da schmettert man anno 2003 aus vollem Hals das „Lob des Kommunismus“, dass es einem den Magen umdreht. Zadeks „Courage“ hingegen kommt mit weichen Knien daher, voller Zweifel. Das mag die sympathischere Haltung sein, macht aber noch keinen Brecht-Sommer. Man sitzt und schwitzt im Deutschen Theater und grübelt, was diesem einst epochalen Stück bloß zugestoßen sein könnte, dass es derart barmt und zagt und plappert. Aber der olle Wagen, der rollt. Die Zinnsoldaten marschieren, die Courage hinterher, immer im Kreis.

Es schmerzt, wenn Ur-Bilder kraftlos von der Wand fallen, als könnten sie sich der Gravitation nicht länger widersetzen. Und man möchte sagen: Angela Winkler ist entwaffnend wunderbar. Man möchte ihr beistehen. Doch man weiß nicht, was für ein Kampf das ist, in den sich die Schmerzenreiche mit falschem Siegerlächeln wirft. Ihre Söhne Eilif (Achim Schelhas) und Schweizerkas (Ronald Zehrfeld) machen ihre Sache ordentlich naiv; so ist das Stück und seine Tradition, gegen die Zadek nichts ausrichtet.

Die stumme Kattrin rettet noch den Schluss. Nicht nur die belagerte Stadt. Judith Strößenreuter zieht die Blicke auf sich. In der Körpersprache des schmalen, rothaarigen Mädchens begreift man das Elend, den ständigen Überlebenskonflikt, von dem die andern beflissen schwatzen. Das muss Brecht geahnt haben, als er diese geniale Rolle schuf: Nicht die Wahrheit, sondern die Sprache stirbt im Krieg zuerst.

Wieder am 7. und 8. und 15. und 16. Juni

Rüdiger Schaper

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