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Kultur: Hochhuths Mut

„Der Stellvertreter“ – uraufgeführt vor 50 Jahren.

Wer in den vergangenen Jahren Rolf Hochhuth in der Öffentlichkeit oder auch nur am Telefon erlebt hat, der konnte erfahren: Dieser Mann, der in Premieren immer eine grüne Krawatte trägt, fürchtet sich vor nichts. Nicht vor Anwälten, Richtern, Theaterintendanten, Journalisten. Und auch nicht davor, sich zur lustigen Figur zu machen. Hochhuth hat immer recht, und die Welt ist voller Skandale, von denen die Welt nichts wissen will und die nur er aufzudecken vermag.

Aber so simpel ist es doch nicht. Der bald 82-jährige Dramatiker hat Verdienste. Sie sind so groß und so fern, dass sich ein schmaler Theaterautor heute überhaupt nicht vorstellen kann, wie das einst war, am 20. Februar 1963. Heute vor 50 Jahren wurde in West-Berlin unter Polizeischutz „Der Stellvertreter“ uraufgeführt, im Theater am Kurfürstendamm, das damals das Haus der Freien Volksbühne war. Der Regisseur hieß Erwin Piscator, ein aus den USA zurückgekehrter Emigrant, der schon in den Zwanzigerjahren in Berlin raumgreifendes, lautstarkes politisches Theater gemacht hatte. Und da schlug er noch einmal zu. Das Stück von Hochhuth war ein Wust aus Dialogen, endlosen Regieanweisungen und Besinnungsaufsätzen, aber es hatte einen glühend heißen Kern. Der Vatikan, so lautete Hochhuths J’Accuse, hat nichts oder nicht genug zur Rettung der Juden vor dem Holocaust getan. Und hätte es doch tun können. Müssen!

Was für ein Coup eines deutschen Dramatikers, der sich immer als zweiter Schiller gesehen hat! Diplomaten und Politiker stritten über den „Stellvertreter“, das Stück wurde in 25 Ländern inszeniert, es gab das, was man heute eine „Debatte“ nennt. Nur dauerte sie viel länger.

Die Rolle des Kirchenstaats im Zweiten Weltkrieg sehen Historiker inzwischen differenzierter. Die Zeiten haben sich geändert, die Themen auch. Nur: Welcher Theatermann würde es Anno Domini 2013 auf sich nehmen, den scheidenden deutschen Papst Benedikt in den Mittelpunkt eines Schauspiels um Missbrauch, Aids in Afrika und Pius-Brüder zu stellen, die es mit dem Holocaust nicht so haben? Rolf Hochhuth, das kann man ihm nicht nehmen, hatte Mut. Besaß Gespür für die Zeitströmungen. Zwei Jahre nach dem „Stellvertreter“ wurde in Ost- und West-Berlin und einem Dutzend weiterer Städte „Die Ermittlung“ von Peter Weiss uraufgeführt, ein „Oratorium“ nach den Frankfurter Auschwitz-Prozessen. Ein gewaltiges Ereignis, das dokumentarische Theater war (wieder-)geboren. Theater war Leitmedium. Die brennenden Fragen landeten zuerst auf der Bühne. Wenn man Rolf Hochhuth jetzt so sieht, muss man das wissen. Der hat mal an der Weltgeschichte gedreht, mit einem Text! Jedenfalls hatte er gute Gründe, das zu glauben. Nun muss das Theater selbst aufpassen, dass es nicht für andere Medien zum Stellvertreter wird. Rüdiger Schaper

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