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Kultur: Hochseilakt

Anne Sophie Mutter beim Musikfest Berlin

Auf dem Papier eine wirklich schöne Idee: das „Lohengrin“-Vorspiel mit Wolfgang Rihms Violinkonzert „Gesungene Zeit“ zusammenzuspannen, auf das jenseitige Leuchten der Streicher bei Wagner das Werk von 1991 folgen zu lassen, bei dem sich der Komponist von den außergewöhnlich fülligen, lebensvollen hohen Tönen hat inspirieren lassen, die ein Markenzeichen seiner Auftraggeberin Anne Sophie Mutter sind.

In der Praxis, beim „Musikfest“-Gastspiel des Pittsburgh Symphony Orchestra am Sonntag in der Philharmonie, allerdings verflüchtigt sich in der langen Umbaupause zwischen den unterschiedlich besetzten Stücken alle Magie. Als die Solistin den Saal betritt, muss sie atmosphärisch wieder bei null anfangen. Was für Frau Mutter natürlich kein Problem darstellt: Aus zartestem Piano, aus vorsichtigem Tasten heraus entfaltet sich die Solostimme, steigert sich zum Selbstgespräch von starker Sogwirkung. Wenn man aus einem Violinkonzert von Wieniawski oder Bruch alles Fett abzieht, müsste ungefähr so etwas herauskommen wie die „Gesungene Zeit“. Spätromantik für Kalorienbewusste, karge Orchestereinwürfe an gertenschlanker Geigenlinie.  

Hier erlebt man die spannendste Seite von Anne Sophie Mutter: eine Künstlerin, die sich bewusst immer wieder durch Auftragswerke herausfordert, als Präventivmittel gegen den Routinevirus – und dann leidenschaftlich für das Neue eintritt, mit der Fülle ihres Wohllauts. Die Zugabe, Bachs „Air“, widmet Anne Sophie Mutter an diesem 11. September als „musikalisches Gebet“ den Opfern der New Yorker Terroranschläge.

Manfred Honeck, der vor seiner Dirigentenlaufbahn Streicher bei den Wiener Philharmonikern war, hat ein tiefes Verständnis von Gustav Mahlers 5. Sinfonie. Mit vollem Körpereinsatz ringt er den Pittsburghern einen schrofferen Klang ab, als bei US-Spitzenorchestern üblich. Die Bitterkeit des Komponisten angesichts des nahen Verlusts der vertrauten Welt scheint in mancher Kantilene auf, seine Visionen von ihrem Untergang aber sind hier nie bedrohlich, sondern nur laut. Am überzeugendsten gelingt das Adagietto – weil es Honeck als Liebeserklärung deutet. Um dieses Gefühl zu treffen, muss man nichts von den Seelenqualen des alten Europa wissen. Frederik Hanssen

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