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Kultur: Höchst nervöses Temperament

Warum Haydns Sinfonie Nr.49 in f-Moll den vielumrätselten Beinamen "La Passione" erhielt, machte die Akademie für Alte Musik im Kleinen Saal des Schauspielhauses durch rhetorisch-klare Artikulation schlagartig deutlich: Es ist eine Darstellung der Leidenschaft auf der Grundlage der antik-barocken Lehre von den vier Temperamenten.

Warum Haydns Sinfonie Nr.49 in f-Moll den vielumrätselten Beinamen "La Passione" erhielt, machte die Akademie für Alte Musik im Kleinen Saal des Schauspielhauses durch rhetorisch-klare Artikulation schlagartig deutlich: Es ist eine Darstellung der Leidenschaft auf der Grundlage der antik-barocken Lehre von den vier Temperamenten.Der langsam-lastende, düster-brütende Kopfsatz führt mit seinen herzklopfenden Synkopen und schlingernden Figuren den verzagten Kleinmut des Melancholikers vor.Der zweite zeichnet in aufbrausendem Allegro di molto und riesigen Intervallsprüngen den Zorn des Cholerikers nach, der grundlos aus besänftigteren Passagen des B-Teils immer wieder hervorbricht.Menuett und Trio trotten im unerschütterlichen Dreier-Takt des Phlegmatikers daher, während das Finale im Presto des Sanguinikers davonpreschte, der sich durch die Redundanz seiner vielen Tonwiederholungen als rechter Windbeutel, durch die unruhigen Punktierungen seines Hauptmotivs aber als höchst nervöses Temperament auswies.

Ein glänzendes Stück Virtuosen-Futter ist das Konzert für Violine und Streichorchester d-Moll, das der 13jährige Felix für die Sonntagsmusiken im Hause Mendelssohn schrieb.Der erste Satz setzt ein prächtiges Schrummel-Motiv gegen ein lyrisches Thema; in das sangliche Andante fährt unerwartet eine Menuett-Episode drein, das Finale schließlich verfehlt als Rausschmeißer seine Wirkung nicht.Thomas Zehetmair bewältigte die zum Teil beachtlichen Anforderungen so souverän und locker, gliederte sich als Tutti-Geiger in den Satzeinleitungen dem Kollektiv ein und ließ auch als Solist die dialogische Kommunikation mit der Basis nie abreißen, so daß sich der Eindruck der Freundschaftlichkeit und Verspieltheit dieser liebenswürdigen Gesellschaftsmusik wie von selbst einstellte.

Dieselbe Tugend eines stark ensembleorientierten Spiels verlieh auch seiner Interpretation des D-Dur-Konzerts KV 211 von Mozart die bewegende Note, während er als Dirigent Schuberts 5.Sinfonie im Stile Harnoncourts mit starken dynamischen Kontrasten, flotten Tempi, dröhnenden Hörnern und prachtvollen Streicherbässen anlegte.Besonders auffällig waren in dieser flexiblen Lesart die Anklänge an den dritten Satz der 7.Sinfonie von Beethoven im Durchführungsteil des Kopfsatzes und die Vorwegnahme der "Wetterfahne" aus Schuberts "Winterreise" im Beginn des Menuetts.

BORIS KEHRMANN

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