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Hör BÜCHER: Der Schrank seiner Wünsche

Der alte Zaubermeister, auch zu Hause stets korrekt gekleidet: in Anzug und Schlips, sinniert auf dem schwarz-weißen Coverfoto mit verschränkten Armen vor dem aufgeklappten Deckel seiner altertümlichen Musiktruhe. „Abends, auch nach dem Mittagessen, ließ ich viel das Grammophon spielen, für das ich eine etwas ins Lasterhafte abschweifende Leidenschaft habe.

Der alte Zaubermeister, auch zu Hause stets korrekt gekleidet: in Anzug und Schlips, sinniert auf dem schwarz-weißen Coverfoto mit verschränkten Armen vor dem aufgeklappten Deckel seiner altertümlichen Musiktruhe. „Abends, auch nach dem Mittagessen, ließ ich viel das Grammophon spielen, für das ich eine etwas ins Lasterhafte abschweifende Leidenschaft habe.“ Das möchte man nun aber genau wissen, was er da gehört hat!

Kein Problem: Manns Obsession wird publik in „Mein Wunschkonzert. Thomas Mann spricht über Musik, die er gern hört“ (Der Hörverlag, 2010). Diese Rundfunkaufnahme aus dem Frühjahr 1954 heutigen Hörern zugänglich gemacht zu haben – dafür gebührt dem Münchner Hörverlag, der sich seit langem verdienstvoll um Thomas Manns phonetisches Nachleben kümmert, allergrößter Dank; mit dieser Edition übertrifft er sich selbst. Soll ich sagen, was an dieser Produktion alles stimmt? Alles. Das beginnt beim Cover. Schaut man genauer hin, erinnert die Klappe der Musiktruhe an einen aufgeklappten Sargdeckel: eine halboffene Tür zur Ewigkeit. Dann: das hochinformative Booklet! Und vor allem natürlich: diese kostbare Silberscheibe selbst, die angeblich eine Laufzeit von 57 Minuten hat, in Wirklichkeit aber grenzenloses Hörvergnügen bietet.

Für die einstündige Radiomusiksendung „Wer wünscht was?“ des Süddeutschen Rundfunks stellte Thomas Mann 1954 dieses Programm seiner musikalischen Lieblingsstücke zusammen. Was er im Studiogespräch gegenüber dem Redakteur Gerd Fricke mit gehörigem Understatement als eine „hübsche musikalische Veranstaltung“ bezeichnete, ist in Wirklichkeit viel mehr als das: ein beeindruckendes akustisches Dokument seiner künstlerischen Konfession. Mann verstand seine Romane immer auch als Sinfonien, mit Themen, Motiven, Leitmotiven.

Fricke: „Und nun bitte ich Sie, den Schrank Ihrer Wünsche zu öffnen!“ Der Schrankinhalt besteht aus Wagner, Debussy, Schubert, Schumann, Beethoven. Nicht nur, dass wir hier einen Spitzenautor und klasse Musik haben. Das Besondere an diesem Hörbuch ist die einzigartige Mixtur aus beidem. Thomas Mann erzählt, wie er als Schüler im „einigermaßen unzulänglichen Lübecker Stadttheater“ erstmals „Lohengrin“ erlebt hat. Das Bild des Matrosenanzug-Pennälers vor Augen, kann man nach dieser eindringlichen Werbung gar nicht anders, als über beide Ohren in Wagners „Lohengrin“-Vorspiel verliebt zu sein – selbst wenn man es bis dahin nicht so mit Wagner hatte. Und so geht das weiter, Stück für Stück.

Ebenso genau hört Thomas Mann aber auch auf merkwürdige Tonfärbungen der Worte, beinahe Misstöne, etwa wenn er in der Schlusszeile „Hüte dich, sei wach und munter!“ von Eichendorffs unheimlich düsterem „Zwielicht“-Gedicht „unter den gegebenen lyrischen Umständen eine schwere Zumutung“ sieht. Die vom Autor gelesenen Passagen aus dem „Zauberberg“ und „Dr. Faustus“ machen aus dieser kostbaren Rundfunkstunde eine melancholische Lebensreise. Das leichte Rauschen dieser Aufnahme ist die akustische Patina der verflossenen Zeit.

Was dieser außerordentlichen Produktion das i-Tüpfelchen aufsetzt: Sie ersetzt die beim Nachkriegs-SDR teilweise nur provisorischen Musikeinspielungen durch die jeweiligen Originalaufnahmen, die Thomas Mann auch selbst gehört hatte. So konnte in den USA eine Aufnahme von Debussys Prélude unter Arturo Toscaninis Dirigat ausfindig gemacht werden, die hier nun zu hören ist.

Einen unheimlichen Nachklang hat dieses Hörbuch! Wer nicht taub ist, wird sich, nachdem der allerletzte Ton verklungen ist, vielleicht noch einmal den „Zauberberg“ oder den „Dr. Faustus“ vornehmen, um jene Stellen nachzulesen, in denen von Musik die Rede ist.

Diesen Hörbuchschatz in Händen, kann man sich aber auch an Thomas Manns Aufforderung halten, mit der er von seiner einfühlsamen, bitter erfahrungsgesättigten Deutung der Winterreise Schuberts zu ihrer musikalischen Interpretation überleitet – unvergleichlich, wie seine alte Stimme da fest zu uns sagt: „Nun kann ich wieder nur sagen: Hören wir!“

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