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Hör BÜCHER: Von nun an geht’s bergab

Ob „Empörung“ Philip Roths bester Roman ist, kann ich nicht sagen; er hat einfach so viele beste Romane geschrieben. Große erzählerische Literatur bleibt nahe am oralen Ursprung allen Erzählens, sie eignet sich daher besonders gut fürs Hörbuch.

Ob „Empörung“ Philip Roths bester Roman ist, kann ich nicht sagen; er hat einfach so viele beste Romane geschrieben. Große erzählerische Literatur bleibt nahe am oralen Ursprung allen Erzählens, sie eignet sich daher besonders gut fürs Hörbuch. (Der Hörverlag 2009)

Im Delirium zieht an Marcus Messner, der immer alles richtig machen wollte und dem schließlich alles misslang, sein Leben vorbei: von der koscheren Metzgerei seines Vaters in Newark bis zum Koreakrieg. Es ist an diesem Roman von Philip Roth der kurze Weg vom Schlachthaus zum blutigen Krieg bemängelt worden; ich finde, das sollte man eher dem Leben ankreiden.

Im Hauptteil des Romans, der Schilderung des Colleges, wohin sich Marcus Messner vor der Fürsorge seines Vaters und den Einberufungsbehörden geflüchtet hat, gibt es ein vertrauliches Gespräch, das der Dean des Colleges mit Marcus führt. Vom Hörbuchsprecher Joachim Schönfeld wird das so beklemmend in Szene gesetzt, dass man dessen Stimme auch dann noch zu hören vermeint, wenn man Philip Roths Text selbst liest. In seiner Mischung aus Verständnis und sublimer Drohung ist es einzigartig. Nein, mehr noch: Es ist so, dass jeder von uns das schon einmal erlebt hat.

Seit letztem Jahr lagen diese fünf CDs auf meinem Tisch, und ich suchte nach einem würdigen Rahmen, sie vorzustellen. Den lieferte Philip Roth nun selbst. In diesem Frühjahr erschien „Demütigung“ (Der Hörverlag, 2010). Dabei ist Roth wirklich nicht jemand, der altersbedingt seine Tinte nicht halten könnte, auch wenn in seinem neuesten Buch das Thema des Alterns in den Vordergrund rückt. „Er ist“, wie schon Marcel Reich-Ranicki befand, „einer der größten Schriftsteller unserer Zeit.“ Es stimmt trotzdem.

Gewundert hatte mich zunächst dieser Satz auf dem Cover: „Ein belebender Trost ist diese glänzende Lesung von Max Volkert Martens.“ Braucht es denn hier Trost? Durchaus – aber so ist man zumindest mit dieser traurigen Geschichte eines Abstiegs nicht ganz allein. Simon Axler, einer der letzten großen amerikanischen Bühnenschauspieler, hat seinen Zauber verloren, er kann nicht mehr spielen. Damit beginnt „Demütigung“.

Das ist die große Meisterschaft von Philip Roth: umstandslos ins Zentrum einer Geschichte, der Schilderung eines Falles vorzudringen. Normalerweise, um die nötige Fallhöhe zu markieren, würde der Held uns doch zunächst auf der Höhe seines Ruhmes präsentiert. Das spart sich Roth. Axlers Ruhm ist Legende, liegt unerreichbar in der Vergangenheit. Sein Sturz wird auch so tief genug sein, sein Niedergang über viele Stufen hinabführen – Roth erspart uns keine einzige. Weder Axlers Versuche, über die Gründe dieses Scheiterns nachzudenken, die ihm sein letztes bisschen Spontaneität rauben, noch seine Einweisung in eine psychiatrische Anstalt, wo er beim therapeutischen Malkurs, in der Mühle seiner Selbstreflexivität, sich selbst beim Malen malt oder einen ahnungsvollen Vortrag vor der Gruppe der Selbstmordpatienten hält. Bis es soweit ist und der letzte Vorhang fällt, erleben wir seine verzweifelten Ausbruchsversuche.

Wer so spannend erzählt wie Roth, riskiert damit zwangsläufig, dass ungeduldige Leser vorblättern. Die Hörbuchtechnik bremst solchen Eifer des schnellen Blicks – zum Glück, denn auch in der Beschreibung kleinster Details erweist sich Roth als großer Meister.

Wie in jedem wirklichen Drama gibt es auch hier einen Schimmer Hoffnung. In der Anstalt hatte Axler zum ersten Mal seit langem wieder jemandem zuhören können. Gerade das Zuhörenkönnen war früher für ihn immer die Quelle seiner einzigartigen Schauspielkunst.

Es ist eine schöne, merkwürdige Spiegelung, wenn man diese Eloge auf die bewusstseinserweiternde Kraft des Hörens nicht nur liest, sondern hier nun tatsächlich auch hören kann.

Für die verzweifelten Signale seiner Geliebten Pegeen indes erweist sich Axler am Ende als taub. Noch kurz vor Schluss wird er überlegen: älterer Mann, von seiner fünfundzwanzig Jahre jüngeren Geliebten verlassen – wie würde er in einem Stück diese Rolle spielen?

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