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Kultur: Hör die Predigt jubelnd an

POP

Nick Caves Konzerte sind eine Mischung aus Familientreffen und Gottesdienst. Man kennt sich, drängelt nicht und lässt sich Platz zum schwelgerischen Wiegen des Oberkörpers. Jeder Song von Papa Nick wird in der halbgefüllten Arena mit ohrenbetäubendem Applaus bedacht. Er ist der Patriarch, der im silbergrauen Anzug seine siebenköpfige Band The Bad Seeds mit erhobener Hand dirigiert. Zwar fehlt Onkel Bargeld an der Gitarre, doch nur einzelne „Blixa“-Rufe werden laut. Nick Cave widmet ihm ein distanziertes Halleluja, die Halle hallelujat mit. Cave, mittlerweile Mitte 40, ist zum routinierten Zeremonienmeister geworden. Alles ist perfekt: Caves faszinierend monotoner Gesang, der transparente kraftvolle Sound, die sparsame aber wirkungsvolle Lichtshow, die die Bühne meist in einen Farbton zwischen Blutrot und Kardinalslila taucht. Würde eine Farbe besser passen zu den Balladen von bedingungsloser Liebe und motivlosen Morden, zu den theatralischen Anrufungen Gottes und des Todes? Als der Australier in dem Song „Mercy Seat“ ruft „...and I’m not afraid to die“, bricht man – als ob auf vorhergehenden Konzerten geprobt – in zustimmenden Jubel aus. Dabei hat sich Cave über die Jahre ein Publikum jenseits von Gruft und Dark Wave erspielt. Mit seinem 15-minütigen hypnotischen „Babe, I’m on fire“ ist er zum Walt Whitman der Pop-Musik geworden, der eine imaginäre Weltgemeinschaft beschwört, die sich in eben jenem Song demokratisch zusammenfindet. Es war der Höhepunkt eines netten, aber im Grunde ereignislosen Konzerts. Da irritierte es nur, dass Perfektionist Cave den (zugegebenermaßen langen) Text des Liedgedichts vom Blatt ablas. Doch das machen die meisten Pfarrer ja auch mit ihren Predigten.

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