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HÖREN: Himmelstöne für U-Bahnfahrer

Das Geräusch der anfahrenden U2, eine nach oben steigende Oktave. Führe die Bahn nur schnell genug, sozusagen überschallschnell, nicht so gemütlich wie normalerweise, kämen wahrscheinlich auch alle anderen Töne der Obertonreihe zum Zuge, und unversehens wäre man bei den letzten Tönen hoch zum Himmel aufgestiegen und könnte sich dort neben die Sirenen setzen und in ihren Gesang mit einstimmen.

Das Geräusch der anfahrenden U2, eine nach oben steigende Oktave. Führe die Bahn nur schnell genug, sozusagen überschallschnell, nicht so gemütlich wie normalerweise, kämen wahrscheinlich auch alle anderen Töne der Obertonreihe zum Zuge, und unversehens wäre man bei den letzten Tönen hoch zum Himmel aufgestiegen und könnte sich dort neben die Sirenen setzen und in ihren Gesang mit einstimmen. Nun ist man aber hier unten auf der Erde, sogar noch darunter, man fährt bloß die U-Bahn Richtung Potsdamer Platz und im Grunde genommen dem Altern entgegen. Immerhin mit einer schönen Oktave zwischen Ruckelei, automatischen Türen und Haltegriffen.

Diese Konstellation ungefähr ist die Ausgangsposition für das experimentelle Musiktheaterprojekt, das unter der Überschrift „Dem Weggehen zugewandt“ im Radialsystem aufgeführt wird (28.-30.6.). Das Motto zum Abend haben die Veranstalterinnen der 1923 in Wien geborenen Schriftstellerin Ilse Helbich entlehnt: „Es hat einen Moment gegeben, in dem ich mir gesagt habe, ich werde in absehbarer Zeit sterben, und ich gehe jetzt diesem Zustand entgegen. Ich habe mich sozusagen dem Weggehen zugewandt. Das ist erstaunlicherweise sehr befreiend.“ Aus Helbichs Schaffen stammen große Teile der Texte, die im Radialsystem zu hören sein werden. Ein weiterer wichtiger Impuls zum Projekt, das die Stimmen der Älteren hörbar und sichtbar machen möchte, verdankt sich der sogenannten „Machina Recordatio“, einem auch online zugänglichen Stimmarchiv mit Beiträgen von 100 alten Menschen, ihren Erinnerungen, Ratschlägen und Lebensweisheiten, das unter der Devise „Spar den Therapeuten, frag die Alten!“ bislang am Tempelhofer Feld aufgestellt war und nach einer Zwischenstation im Radialsystem nach Dresden weiterziehen wird. Vorerst aber verbinden sich im Radialsystem mit dem Weltwissen des Alters musikalische Erinnerungen wie Tanzmusiken, Radioschlager oder Kinderlieder zu einer Lebenskunde der ganz besonderen Art. Maria Magdalena Ludewig (Regie) und Manuela Kerer (Komposition) führen das Kammerorchester „Solistenensemble Kaleidoskop“ mit einem 40-köpfigen „Chor der Alten“, einem Streichorchester und sechs Einzeldarstellern zusammen. Die ein oder andere Oktave wird gewiss auch dabei sein.

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