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Kultur: Hört mir zu!

ALL THAT JAZZ Christian Broecking über eine Sängerin mit Sendungsbewusstsein Es war ein Jahr der Sängerinnen. Und doch: Wenn der Musikwissenschaftler und Sänger Ben Sidran heute nicht mehr von der schwarzen Kultur schwärmt, hat das auch damit zu tun, dass er diese durch Rap und HipHop arg diskreditiert sieht.

ALL THAT JAZZ

Christian Broecking über

eine Sängerin mit Sendungsbewusstsein

Es war ein Jahr der Sängerinnen. Und doch: Wenn der Musikwissenschaftler und Sänger Ben Sidran heute nicht mehr von der schwarzen Kultur schwärmt, hat das auch damit zu tun, dass er diese durch Rap und HipHop arg diskreditiert sieht. Eine für die aktuelle Rezeption afroamerikanischer Jazzsängerinnen nicht zu unterschätzende Determinante. Ihr Authentizitätsbonus hat beim überwiegend weißen Jazzpublikum zurzeit nur bedingt Relevanz. „Bevor Rap und HipHop zu dem verkamen, was sie heute sind, waren sie engagierte künstlerische Ausdrücke unserer Lebenswelten“, sagt Dianne Reeves , Jahrgang 1956. Sie gilt als die bedeutendste Jazzsängerin ihrer Generation, für ihr aktuelles Album „A Little Moonlight“ (Blue Note) ist sie gerade für einen Grammy nominiert worden. Doch im Interview gibt sie sich zum Ende des Jahres eher skeptisch: „Sobald die Industrie entdeckt, dass man damit Millionen Dollar machen kann, ist es schon vorbei. Denn keiner gibt den 15-Jährigen mehr eine Chance, sich zu entwickeln. Als Stevie Wonder in den Sechzigern als Little Stevie anfing, war es noch anders. Er bekam die Gelegenheit, sich zu einem tatsächlichen Wonder zu entwickeln. Die Wegwerfgesellschaft hingegen, in der wir heute leben, geht mit ihren Künstlern nicht anders um, als mit einem angebrochenen Fast-Food-Snack. Weg damit in den Abfall.“

Ein anderes Problem, mit dem besonders die schwarzen Jazzsängerinnen konfrontiert sind, ist das, was Wynton Marsalis die „Last der Tradition“ nennt. „Ich bin eine Jazzsängerin, im Jazz liegen meine Wurzeln,“ sagt Dianne Reeves. „Schwarze Sänger und Sängerinnen kommen ja meist aus der Kirche. Seitdem alles von der Industrie kategorisiert wird, hat unsere Kultur ihre Reinheit eingebüßt. Musik war einst ein fester Bestandteil des Alltags, heute ist sie nur noch Unterhaltung. Es gibt kaum noch junge Afroamerikaner, die Blues hören. Ich betrachte den Jazz als eine sehr spirituelle Musik. Und ich schreibe Songs, die die Menschen zu Hoffnung, Inspiration und Selbstverwirklichung bewegen sollen. Die Menschen müssen sich bewusst werden, dass der Life-Style-Terror, dem man heute überall ausgesetzt ist, sie dazu zwingen wird, ihr kulturelles Zentrum zu verlieren. Davon ist natürlich nicht nur die afroamerikanische Bevölkerung betroffen. Aber als Afroamerikanerin gilt ihr mein besonderes Engagement.“

Zusammen mit Simon Rattle , den Berliner Philharmonikern und ihrem Trio tritt Dianne Reeves am Dienstag (20 Uhr) und Mittwoch (17.15 Uhr) im Großen Saal der Philharmonie auf.

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