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Hofer Filmtage: Ich Koch, du Täter

Neues aus Deutschland auf den 44. Hofer Filmtagen. Wenn es stimmt, dass das Kino die Dinge vor dem Verschwinden bewahrt, dann ist Hof bald als Filmstoff dran.

Die Filmtage, das jährliche Familientreffen der deutschen Branche auf halbem Weg zwischen München und Berlin, kommen in die Jahre: mit Heinz Badewitz als weltweit dienstältestem Festivalchef (seit der Gründung 1967) und einer üppig mit Förder- und Fondsgeldern ausstaffierten Filmindustrie, die wahlweise kreuzbrave oder ambitionierte, aber blutleere Produktionen hervorbringt.

Hof, der Film, das wäre alles, was Kult ist in Hof. Die Fußgängerzone mit der Cineasten-Schlange vor dem Bratwurststand gleich vor dem Kino Central, samt den zwei Schaufensterpuppen und der Projektor-Attrappe auf deren Dach. Der rote Samtvorhang im schönen, alten Scala-Kino. Das riesige Leuchtreklamen-Jesusschild in der Marienstraße, das Fußballspiel am Samstagmorgen (5:2 für die Mannschaft der Mitarbeiter gegen den FC Filmwelt), die Erinnerung an jüngst gestorbene Hof-Veteranen wie Werner Schroeter und Schlingensief sowie die Gaststube des Hotels Strauß samt Herrn Schulz, dem stattlichsten Nachtportier seit Erfindung des Hotelzimmerschlüssels. Auch der Satz aus der Badewitz-Eröffnungsrede dürfte nicht fehlen, demzufolge sich der Film vom Leben dadurch unterscheidet, dass er 90 Minuten dauert.

In Hof dauert er oft nur 60 oder 70 Minuten. Die 44. Ausgabe des NachwuchsFestivals lohnte sich vor allem wegen der meist kürzeren Dokumentarfilme der Hochschul-Absolventen. Sie geben Einsichten in Innenwelten, Parallelwelten, Arbeitswelten. In „Ein Sommer voller Türen“ begleitet Stefan Ludwig Spenden-Eintreiber für den Malteser Hilfsdienst und beobachtet die Sisyphos-Arbeit des Klinkenputzens auf Provision. Zögen diese jungen Leute nicht den Rentnern das Geld aus der Tasche, fehlten unserem Sozialsystem Millionenbeträge. Regisseur Jan Peters versucht, ganz ohne Geld auszukommen. In „Nichts ist besser als gar nichts“ (Kinostart am Donnerstag) lernt er auf diese Weise bettelarme Rentner und andere Überlebenskünstler des vierten Arbeitsmarkts kennen, Punker, Hartz-IV-Empfänger, Pfandflaschen-Sammler, Bankkrisen-Opfer und einen Unternehmensberater, der bildungsresistente Schulaussteiger coacht. Die Münchner Dokumentaristin Bettina Timm porträtiert in „Ich Koch!“, einem der klügsten Festivalbeiträge, Kochlehrlinge einer Großküche und eines Gourmet-Restaurants. Georg träumt von der „Queen Mary 2“, fängt aber später beim Pizza-Service an. Julien rollt 900 Knödel am Tag, 1000 wären besser. Sorgfältig setzt Bettina Timm Nahaufnahmen einer Jugend in Szene, deren Arbeitswirklichkeit die Lebenswünsche verändert.

Ihre HFF-Kommilitonen Miriam Märk und Alexander Costea – sie Dokumentaristin, er Spielfilmer – nehmen sich in „Dreimaldraußen“ die Ambivalenzen des sozialen Engagements vor und haben sich für improvisierte, dokumentarisch anmutende Spielfilm-Szenen entschieden. Eine Etüde für sechs Schauspieler: Dreimal Haftausgang mit ehrenamtlicher Begleitung, drei sympathisch sture Häftlinge, drei junge Gutmenschen, die in wenigen Stunden an ihrer Helferrolle scheitern. Eigensinniges, erfrischend komisches Erzählkino, dessen Witz sich bei der Reibung zwischen Realität und Fiktion entzündet. Eine Entdeckung, immerhin.

Drei Täter-Dokumentationen bot das Programm. „Feindberührung“, die solide, dennoch bewegende Studie eines Freundesverrats an die Stasi. „Das eine zieht das andere so nach“, ein amerikanischer Irak-Deserteur im Clinch mit seiner deutschen Ehefrau, die ihn verlassen will, falls er keine Therapie macht. Der 50-Minuten-Film konzentriert sich auf das unlösbare Dilemma zwischen dem um seine Gefährlichkeit wissenden traumatisierten Soldaten und seiner überforderten Frau. „Auf Teufel komm raus“, der heikelste Beitrag des Jahrgangs, zeigt ein Dorf in Aufruhr. Der Sexualstraftäter Karl. D lebt nach 15 Jahren Haft bei der Familie seines Bruders, ein Jahr lang belagern Demonstranten das Haus. Mareille Klein und Julie Kreuzer wollten beide Seiten filmen, aber die Demonstranten verübelten ihnen den Kontakt zum Täter und verweigerten das Gespräch. So ist ihr Film das Dokument einer scheiternden Verständigung über Sicherheitsverwahrung, das Leiden der Opfer, Sippenhaft und einen von der Boulevardpresse angestachelten Mob geworden. Zwei Welten, sie bleiben getrennt.

Und „Poll“ von Chris Kraus, der meisterwartete Spielfilm (Start: 6. Januar)? Kraus, dessen „Vier Minuten“ 2006 in Hof erste Erfolge feierte, ist mit seinem Herzensprojekt zurückgekehrt, einem Film über die mit ihm verwandte Dichterin Oda Schäfer, die als Mädchen 1914 zur Familie aus Berlin an die baltische Ostseeküste zurückkehrt. Die Truppen des Zaren jagen Anarchisten, der Vater, ein psychopathischer Arzt, legt deren Gehirne in Formalin ein, Krieg liegt in der Luft. Ein aufwendig in Estland gedrehter Kostümfilm, mit einer morbiden Villa am Meeressaum, mit Edgar Selge, Richy Müller, Jeanette Hain und der sehenswerten Paula Beer in der Hauptrolle. Chris Kraus gelingt es, den Zuschauer in diese fremde, dem Untergang geweihte Welt zu entführen. Und doch sind es vor allem die imposante Kulisse, die Geschmacksverstärker, der Kunstwille, die Eindruck machen. Die Zukunft, heißt es am Ende von „Poll“, die Zukunft ist vorbei.

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