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Kultur: Hohelied der Hoffnung

Peter Herbstreuth Über siebzig Projekte zu Kunst und Architektur in Berliner Galerien – die Reaktionen auf das von Steffen Lehmann und Caroline Raspé initiierte Projekt „Space Time Architecture“ ist beispielslos. Die beiden Architekten hoffen auf eine Neudefinition des Verhältnisses zwischen Kunst und Architektur und schöpften weitgehend unreglementiert aus dem großen Fundus privater Initiativen und Kooperationen (Tagesspiegel vom 20.

Peter Herbstreuth

Über siebzig Projekte zu Kunst und Architektur in Berliner Galerien – die Reaktionen auf das von Steffen Lehmann und Caroline Raspé initiierte Projekt „Space Time Architecture“ ist beispielslos. Die beiden Architekten hoffen auf eine Neudefinition des Verhältnisses zwischen Kunst und Architektur und schöpften weitgehend unreglementiert aus dem großen Fundus privater Initiativen und Kooperationen (Tagesspiegel vom 20. Juli).

Im Katalog und den vielen Pressemitteilungen ist vom Dialog zwischen künstlerischen Ideen und architektonischen Realisierungsprozessen die Rede. Man stimmt noch einmal das Hohelied der Hoffnung an und betont das Wechselspiel, das Zusammenwirken und sogar die gegenseitige Befruchtung von Architektur und Kunst. Und in der Tat hat die Beschwörung von Idealfällen etwas elektrisierendes. Doch wer unabhängig von dem Projekt durch die Stadt spaziert, muss leider erkennen, dass zehn Jahre Dialogführung zwischen Kunst und Architektur vor allem ein großes Geschwätz waren. Die Architekten und Bauherren bestimmen, was geht und was nicht. Die Künstler schwächeln, weil sie um den meist gut bezahlten Auftrag fürchten, überarbeiten, liefern schließlich zerknirscht das Gewünschte und gehen zur Therapie, damit sie während des Dialogprozesses ihr Seelenheil bewahren und nicht auf ewig zynisch werden.

Der Zug um Zug erzielte Konsenz bestimmt nun den Maßstab der Stadt, in der einst alles möglich schien. Er unterscheidet sich kaum von anderen Städten. Zwar wurde in keiner Stadt in so kurzer Zeit so viel privates und öffentliches Geld in baubezogene Kunst investiert, aber der oft hart erkämpfte Aufwand resultierte nicht in qualitativ maßgeblichen Realisierungen. Dafür gibt es zu wenig Beispielhaftes. Das Märchen, nun könnte man endlich alles besser machen, gar der Zukunft vorausgreifen, ist zu Ende erzählt. Der Architekt Steffen Lehmann und Andres Lepik von den Staatlichen Museen halten die Resultate der Kunst in den Berliner Bundesbauten, immerhin das renommierteste und finanziell aufwändigste Kunst-am-Bau-Projekt seit Gründung der Bundesrepublik, für gescheitert, weil „kaum ein Künstler sein Werk so verwirklichen konnte wie ursprünglich geplant“. Große n, unausgeschöpfte Möglichkeiten.

Auf diesem Hintergrund wäre eine Ortsbegehung des bereits Verwirklichten parallel zum Architektenkongress etwas flach ausgefallen. „Space Time Architecture“ spekuliert deshalb mit Alternativen und schaut wiederum in die Zukunft. Überdies bietet die Aktion für Galeristen und Künstler eine seltene Gelegenheit zur Selbstdarstellung eines Bereichs, der in Galerien meist als reine Büroangelegenheit behandelt wird. Zwar beschäftigen nicht wenige Galerien eine Assistentin, die sich um Kunst-am-Bau-Projekte kümmert, doch Ausstellungen gibt es dazu selten. Der zum Event gestaltete „Rundgang“ am Donnerstagabend übertraf denn auch alle Erwartungen – zumal nun nicht Hundertschaften eines allgemein kunstinteressiertes Publikums unterwegs waren, sondern Architekten mit ihrer Entourage, die ein bekanntes Gesicht und einen klangvollen Namen hatten: potentielle Kunden.

Die prinzipielle Vorgabe der Initiatoren bestand darin, Künstler mit Architekten einen Entwurf entwickeln zu lassen oder bereits entwickelte Projekte modellhaft vorzustellen. Manche Architekten nutzen die Aktion zur informativen Werbung des eigenen Büros – wie Sauerbruch + Hutten, die in den Kunst-Werken ihren Werdegang auf drei simultanen Videowänden eindrucksvoll präsentieren. Gewers, Kühn + Kühn verleihen einem Projekt Ausstellungsweihen und stärken ihre Position gegenüber dem Auftraggeber, um ein erfindungsreiches Projekt mit der Künstlergruppe Soup möglichst ohne große Modifikationen durchzusetzen. Sie planen die Gestaltung von Rekreationsräumen für ein Bürohaus in Frankfurt am Main mit surrealen, belebenden Drehs und Wendungen: eine Gegenwelt zur Arbeit. Und es zeigt sich, dass die Freiheit von Künstlern den in strengeren Zwängen arbeitenden Architekten etwas zu bieten haben. Die Kunstfrage stellt sich dabei nicht, sondern schlicht die Architektenfrage, ob es funktioniert. Zwar hat der Bereich angewandte Kunst ein kleineres Renommé, doch wer auf die Kunstweihen pfeift, fährt in funktionalen Räumen allemal besser.

Die Galerien zeigen gleichwohl bevorzugt Werke, die der Anschauung genügen und doch funktionalen Aneignungen entgegenkommt: Design mit Kunstakzent. Und selbstverständlich fehlen die Raumreflektionen nicht, bei denen wieder ernsthaft gefragt werden kann: Was ist eine Tür, ein Fenster, eine Wand? Eine Reihe von „Archiskulpturen“ – allen voran von Sabine Hornig an zwei Orten – bereichern das Denken in Richtung Skulptur, ohne dass sie den geringsten Kunst-am-Bau-Aspekt bedienten. Der Architekt O. M. Ungers meint, der Architekt baue, damit er etwas zu denken habe, und verhält sich darin wie ein Künstler. Umgekehrt behauptet der Architekt Stephan Braunfels: „Einen guten Entwurf muss man in den Schnee pinkeln können“. Kurzum: Er muss wohlbedacht, einfach und klar sein. Beide planen das Ganze: Die Kunst wird allein für Details eingesetzt. Solange Künstler und Architekten nicht mit dem Bauherrn gemeinsam planen, wird der Dialog wie zwischen Eltern und Kindern verlaufen, und die Machtfrage, die letztlich die Ergebnisse diktiert, bleibt unangetastet. Doch all dies bringt die Initiative in den Galerien zur Anschauung und darf deshalb zum Besten gezählt werden, was in dieser Stadt in letzter Zeit auf die Beine gestellt worden ist

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