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Kultur: Hohle Gasse, strahlend

Der Schriftzug "Deutsches Theater", hoch oben am Giebel des Eckhauses den Weg weisend, leuchtet nicht.Die gelben Neonröhren sind tot.

Der Schriftzug "Deutsches Theater", hoch oben am Giebel des Eckhauses den Weg weisend, leuchtet nicht.Die gelben Neonröhren sind tot.Der Schnörkel, in den das große "D" ausläuft, hat vor dem sommerlich hellen Abendhimmel allen Schwung verloren.Mit seiner geschlossenen Kneipe im Erdgeschoß, mit seinen leeren Fenstern darüber, hinter deren hier und da zersplittertem Glas keine Gardine mehr hängt, ist das ganze Haus abbruchreif.Oder von Grund auf sanierungsbedürftig.Der triste Altbau, am Anfang der Albrechtstraße in Berlin-Mitte gelegen, wirkt wie ein Fremdkörper in einer sich erneuernden, sich buchstäblich häutenden Umgebung.Und unterschied sich doch früher in nichts von seinen Nachbarn ...

Früher? Das war nach dem Fall der Mauer, als das Deutsche Theater auch einem aus West-Berlin stammenden Publikum wieder ohne weiteres, nämlich ohne Passierschein, zugänglich war.Wer mit der S-Bahn anreiste, am Bahnhof Friedrichstraße ausstieg, fand bald heraus, daß der schnellste Weg zum Theater eben durch die Albrechtstraße führt.Man mußte nur ein bißchen Mut aufbringen, ihn auch einzuschlagen: zunächst auf der Brücke unterhalb der Bahngleise, einem hölzernen Steg zwischen Stahlträgern, die Spree überqueren, darauf an der Eckkneipe links einbiegen - durch diese hohle Gasse mußte gehen, wer am Ende, zum Beispiel, einen Schiller zu sehen hoffte.Schlecht beleuchtet, die Straße, holprig das Pflaster, schmal die Bürgersteige neben den hohen, dunkel in den Nachthimmel ragenden Fassaden, hinter deren Fenstern da und dort eine Funzel glomm.Und doch ein Weg, den man gerne ging, lieber als den anderen, den breiteren und ein wenig längeren Weg zum Theater über Friedrich- und Reinhardtstraße.Was hier fehlte (und fehlt), das hatte die arme, kleine Albrechtstraße: eine vielleicht miefige, jedoch irgendwie anheimelnde Atmosphäre.Wer nach Theaterschluß, zur S-Bahn strebend, den Heimweg antrat, mochte schon mal auf den Gedanken verfallen, eine Wohnung hier ...

"Vermietung ab Sommer 1998" prangt ein Schild an einer Hauswand.Instandsetzung nach Modernisierung eines Einzeldenkmals ist hier, bürokratisch trocken, angesagt, und die damit beauftragte Firma beruft sich, schon flotter, auf "umweltfreundliche Technologien mit Köpfchen".Berlin im Wandel - man muß sich nur einmal, trotz Theaterferien, in diese Gegend verirren und wird seinen Augen trauen müssen, wie da aus der armen, kleinen Albrechtstraße eine reiche, kleine zu werden scheint.Das ehemalige "Christliche Hospiz" an der Ecke Marienstraße hat sich als "Hotel Albrechtshof" nobilitiert und gleich auch noch eine Filiale im Haus gegenüber eingerichtet: das erstrahlt cremeweiß in einem so schlichten wie edlen Klassizismus.Die mausgrauen Fassaden von ehedem haben zumeist einen neuen, hellen Verputz erhalten; an den Haustüren funkeln die Messingschilder von Architekten, Immobilienhändlern und Projektentwicklern, von Rechtsanwälten und Steuerberatern.Wie ein Relikt aus alten Zeiten mutet da die Kita an, deren Fenster bis in den dritten Stock hinauf buntbemalt sind, oder der Tante-Emma-, besser Onkel-Otto-Laden - durch die offenstehende Tür ist zu sehen, wie der Besitzer jetzt, lange nach Geschäftsschluß, noch mit Auf- und Umräumen zugange ist.Will er sich dem Trend zum "Schöner leben" anpassen? Kaum hundert Meter weiter hat sich ein häßliches Areal aus Schuppen und Baracken, das im vergangenen Winter als Drehort für Filmaufnahmen diente, in die Sommerluft verflüchtigt; was damals für eine Geschichte aus dem Rotlichtmilieu grell aufgeschminkt war, ist jetzt eine Baugrube.In der Ferne hinter dem weiten und breiten Erdaushub sieht man die S-Bahn fahren.Berlin in Bewegung.

Nur etwas verharrt dort, wo die Albrecht- in die Schumannstraße übergeht, unverrückt und unverrückbar in seiner gelbgrau fleckigen Monstrosität: der Bunker.Einmal hat das Theater ihn erobert und zum Spielplatz gemacht, geknackt aber hat es ihn nicht.Kein Abbruchhaus, ein Bauwerk mit Charakter - gefällig herausgeputzt zu werden verbittet es sich.

GÜNTHER GRACK

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