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Kultur: Holt die Waffen aus dem Archiv!

Berlins Akademie der Künste gibt sich politisch

Marlon Brando in „Der Pate“? Ein wunderbarer Schauspieler in einem wunderbaren Film – aber „für uns eine Katastrophe“. Warum? Weil die malerischen Aufnahmen das Mafia-Klischee zementieren. Ästhetische Formen, weiß Leoluca Orlando, können politische Intentionen unterlaufen. Orlando, einst Bürgermeister von Palermo und Mafiagegner, hat einen sehr konkreten Zugang zum Verhältnis Kunst und Politik. Mit Kunst – etwa der Wiedereröffnung des Opernhauses „Teatro Massimo“ mit den Berliner Philharmonikern – hat er die mafiöse „Todeskultur“ seiner Heimatstadt in eine neue „Lebenskultur“ verwandelt.

Ein Filmemacher wie Andres Veiel aber, der sich an Godard halten und statt politischer Filme seine Filme politisch wenden will, sieht sich heute in einer Funktionskrise der Kunst. Das forsche Motto „Alle Kunst ist politisch“, unter das die Berliner Akademie der Künste ihre „Lange Nacht“ am Hanseatenweg stellte, versteht sich also nicht von selbst. Es sei denn, man löst das Problem wie der Pariser Opernintendant Gérard Mortier. Da jedes Kunstwerk sich der Konfrontation mit einem Publikum aussetze, so Mortier, komme ihm gesellschaftliche Bedeutung, ergo politische Relevanz zu.

Schärfere Begriffe hätten dem Podiumsgespräch mit Orlando, Veiel, Mortier und Günter Grass mehr Kontur gegeben. So erklärt Orlando den Willen der Mafia zur „ewigen Gegenwart“ und Berlusconi zur „Perversion der Modernität“. Mortier beklagt eine Parteipolitik, die Kunst aus ihrem Zuständigkeitsbereich verweise, überhaupt: die Kommerzialisierung. Veiel, Regisseur so großartiger Filme wie „Black Box BRD“ oder „Die Spielwütigen“, fordert vom Künstler den Blick ins wirkliche Leben. Gerade darin liegt die Krux: Eine weitgehend entpolitisierte Gesellschaft liefert kaum den Resonanzboden für politisches Denken.

Und Günter Grass? Der will den Künstler zunächst Künstler sein lassen und das Publikum mit seiner entregelten Weltwahrnehmung verstören. Dann aber ist der Künstler auch noch Citoyen, der sich einmischt. Deshalb spricht Grass von „Widersprüchen des Künstlers“ in seinen Zeitumständen und von den „geschichtlichen Hypotheken seines Landes“, mit denen er belastet sei. Von seinem langen Schweigen über seine kurze Zeit bei der Waffen-SS muss da nicht eigens die Rede sein. Was jüngere Autoren die Schizophrenie seiner Generation nennen, geht indes weiter. Einerseits will Grass im rein Handwerklichen schwelgen und sich in Politikabstinenz üben – wie jüngst beim zweiten Lübecker Schriftstellertreffen. Andererseits wettert er in der Akademie gegen die „Vorherrschaft des Kapitals“ und der „Großkonzerne“.

Dass alle Kunst politisch sei, bleibt so selbstverständlich im Allgemeinen wie fragwürdig im Einzelnen. Eher verrät die Behauptung etwas über das Selbstverständnis des Akademie-Präsidenten Klaus Staeck. Der hatte in seiner Eröffnungsrede augenzwinkernd ein Waffenarsenal geöffnet, das in den Nachlässen des Akademie-Archivs schlummert: eine Doppelflinte von Johannes R. Becher, ein Revolver Kurt Tucholskys, Speere und Bumerangs von Paul Robeson. Man sei gerüstet für die revolutionäre Situation, wolle den Aufstand der Prekarier unterstützen, gegen Rechtsradikalismus, das Ozonloch und die Überalterung der Gesellschaft ins Feld ziehen. Um markante Positionen ist die Akademie jedenfalls nicht verlegen. Selbst wenn sie das Revolutionsprojekt einstweilen an die Ausschüsse delegiert.

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