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Kultur: Homo-Ehe: Sollen auch homosexuelle Paare heiraten dürfen, Kinder adoptieren, Steuern sparen und leichter erben?

Das Bild vom Homosexuellen war immer ein schräges Bild. In den fünfziger Jahren galt er als krimineller Kinderschänder, in den achtzigern als gefährlicher Virusträger (Aids) und in den neunziger Jahren erhob ihn die Gesellschaft zur schrillen Tunte, weil ein paar bunt gekleidete Vertreter den Christopher Street Day besuchten.

Das Bild vom Homosexuellen war immer ein schräges Bild. In den fünfziger Jahren galt er als krimineller Kinderschänder, in den achtzigern als gefährlicher Virusträger (Aids) und in den neunziger Jahren erhob ihn die Gesellschaft zur schrillen Tunte, weil ein paar bunt gekleidete Vertreter den Christopher Street Day besuchten. In Werbung, Film und Soap-Oper stellt man ihn neuerlich als Paar dar. Selbst in der "Lindenstraße". Ein schräges Bild hat man von Schwulen und Lesben auch noch in der Diskussion um die Homo-Ehe. Auf allen Ebenen wird polarisiert. Der SPD-Rechtsexperte Alfred Hartenbach zum Beispiel möchte Schwule und Lesben intellektuell domestizieren. Er findet sie "hochintelligent, anständig und ordentlich". Und Herta Däubler-Gmelin sagt, Homosexuelle seien "lebenslustig".

Die lebenslustige Lesbe. Das klingt drollig. Allerdings sind Homosexuelle ebenso heterogen wie der Rest der Bevölkerung: Es gibt Kluge und Dumme, Ordentliche und Chaoten und viele, die das Leben gar nicht lustig finden. Die Medien polarisieren nicht minder. Entweder sie werfen sich mit bunten Bildern wie eine grell geschminkte Hafennutte an die vermeintlich exotische Zielgruppe, oder sie erheben den moralischen Zeigefinger.

Zum Beispiel ist es wertkonservativer Aberwitz, den Sinn der Ehe auf die biologische Reproduktion zu reduzieren. Unter dem Schutz des Staates steht sie auch ohne Kinder. Es geht doch darum: Zwei Menschen gehen eine unbedingte Beziehung ein, geistig, moralisch, intellektuell. Nach Nietzsche beruht "die gute Ehe auf dem Talent zur Freundschaft". Der sexuelle Unterschied tritt in den Hintergrund. Auch biologische Einwände halten nicht. Selbst unter den Primaten hat es immer Vertreter gegeben, die sich nicht reproduziert haben und von der Gesellschaft für soziale Dienste freigestellt wurden. Wären sie überflüssig, hätte die Natur sie im Laufe der Evolution einfach fallen gelassen.

Es ist Unsinn, für die Beziehung von Schwulen und Lesben ein anderes Institut als die Ehe zu schaffen. Und es widerspricht der Logik des Grundgesetzes, zum einen alle Menschen gleichzustellen, um sie ein paar Artikel später wieder auseinander zu dividieren. Jede Sonderstellung ist immer auch eine Dikriminierung. Zudem übersehen die Verteidiger der klassischen Ehe, dass das Institut Ehe keine starre Lebensform ist. Sie ändert sich mit der Entwicklung der Gesellschaft. Schon lange fehlt ihr die Strenge, die Moral und die Monogamie der fünfziger Jahre. Die Transgender-Diskussion hat längst jene Ebene verlassen, auf der sich Menschen ausschließlich mit Begriffen wie schwul, lesbisch oder heterosexuell definieren lassen. Man kann das beklagen, ändern kann man es nicht.

Die gesellschaftlichen Veränderungen betreffen auch den Stand der Familie. Neben dem katholischen Bild der Familie steht das weltliche Recht. "Erzeuger" sind nicht zwingend Erzieher, wie auch Erzieher umgekehrt nicht als "Erzeuger" in der Pflicht stehen. Frauen lassen sich künstlich befruchten, erziehen allein und bilden mit ihrem Kind eine Familie. Paare adoptieren Kinder. Oder Männer gehen in Vaterschaftsurlaub. Es gibt keinen Grund, Schwulen und Lesben diese Rechte zu verwehren. Nicht das Geschlecht des Erziehers ist für das emotional gesunde Aufwachsen eines Kindes ausschlaggebend, sondern die Liebe, die man ihm zukommen lässt. Im Tagesspiegel vom 6. Juli schrieb Bernd Ulrich, dass "vier von fünf Ehen unverändert auf Kinder ausgerichtet" seien und "selbst wenn Homosexuelle ein Adoptivrecht bekämen, der Anteil homosexueller Eltern minimal" bleibe. Das sei "keine Diskriminierung - das ist einfach ein Unterschied". Es ist aber anders: Das Argumentieren mit Zahlen wird zur unwillkürlichen Diskriminierung - denn warum sollten wenige homosexuelle Adoptiveltern weniger wert sein als eine Vielzahl?

Zum Erbrecht: Wer selbst hier, wie manche Politiker und Publizisten, die geplante Reform angreift, kennt wenig vom Alltag der Schwulen und Leseben. Nicht selten brechen Eltern oder andere Blutsverwandte - aus Angst vor gesellschaftlicher Ächtung - den Kontakt zu homosexuellen Mitgliedern der eigenen Familie ab. Warum sollten sie im Todesfall deren Vermögen erben, statt der Partner und Partnerinnen, die seit Jahren mit ihnen in eheähnlichen Beziehungen, auch in Zugewinngemeinschaft, zusammengelebt haben?

Es geht ja ums Dürfen, nicht ums Müssen. Man kann nicht einerseits die Dienste und Ideen einer Gruppe in Anspruch nehmen - man kleidet sich mit ihrer Mode, man lässt sich von ihnen die Haare frisieren, man besucht ihre Theaterstücke und liest ihre Bücher - und andererseits verwehrt man ihnen gleiche Rechte. Wenn Deutschland sein Jawort zur Homo-Ehe bekunden wird, wird es sich gleichzeitig als das outen, was es im Ansehen der Welt immer sein will: ein tolerantes Land. Georg Paul Hefty befürchtet in der FAZ, dass es "bei ein, zwei eingetragenen, gleichgeschlechtlichen Partnerschaften je Landkreis, wie die halbamtliche Schätzung lautet, nicht bleiben wird", und dass "der Anteil in manchen Städten höher sein wird". Keine Angst. Nicht alle Schwulen und Lesben möchten die letzte Bastion der Bürgerlichkeit für sich reklamieren, nicht alle suchen die Stromlinien. Das haben die niedrigen Zahlen von Heiratswilligen in Dänemark gezeigt. Homosexuelle werden sich das gut überlegen. Vielleicht werden einige in Tüll und Taft vor den Traualtar treten. Andere werden vor den Pflichten davon laufen, die mit einer Ehe verbunden sind. Und es wird rosarote Rosenkriege geben, mit zerrissenen Federboas. Jede Menge Stoff für Theater und neue Soap-Opern. Es wird sein wie eine Scheidung von Hetero-Beziehungen. Vielleicht ein bisschen trashiger. Sonst würde das schwule Leben allzu heterosexuell. Und das Bild vom Schwulen erst recht.

Tomas Niederberghaus

Wenn wir uns die Gesellschaft als leere Tafel vorstellen, die wir nach unseren Wünschen und Werten neu beschreiben könnten, wie Naturwissenschaftler, die Formeln entwickeln, verwerfen und löschen, dann fiele die Antwort leicht. Sollen Schwule und Lesben heiraten dürfen? Natürlich. Denn die Bindungen zwischen hetero- und homosexuellen Paaren müssen vor dem Gesetz als gleichwertig gelten. Denken wir uns unsere Wunschgesellschaft weiter, dann würden wir nach dieser ersten gleich die zweite Antwort wissen. Soll der Staat alle privaten Bindungen gleichermaßen schützen und privilegieren? Natürlich nicht. Zwei ehelich zusammenlebende Erwachsene brauchen keinen besonderen staatlichen Schutz und erst recht kein Privileg.

Aber alle Erwachsenen, ob allein oder zu zweit, schwul, lesbisch oder hetero, ehelich oder nicht-ehelich, müssen sich auf den Schutz der Gemeinschaft verlassen können, wenn sie Kinder aufziehen. Denn Kinder sind angewiesen auf den privaten Raum, auf die Familie. Ihre Eltern brauchen Steuervorteile und Sozialstransfers. Erstens für die Kinder, zweitens für sich selbst, weil sie die kollektiven und privaten Sicherheitssysteme nicht im gleichen Maß für sich nutzen können. Aber warum sollte in dieser Wunschgesellschaft überhaupt jemand heiraten? Vor dem Gesetz zählten allein die Kinder als Maßstab für Schutz und Privilegierung. Alle anderen könnten zusammenleben nach ihrer Facon, und im Grundgesetz müsste nur stehen: Niemand darf wegen seiner sexuellen Orientierung diskriminiert werden.

Wunschgesellschaften auf der leeren Tafel droht das gleiche Schicksal wie dem Bauern, dem Gott für ein Jahr das Wettermachen überlässt. Im Herbst stehen auf seinem Feld lauter schöne goldene Ähren. Doch sie sind alle taub, denn das schlaue Bäuerlein hat das Unsichtbare, den Wind, vergessen. Unserer Wunschgesellschaft fehlen die wirklichen Menschen mit ihrer Neigung zum Uneindeutigen und allem, was sie aus Tradition und Herkommen mitbringen. Es fehlt ihr das Unsichtbare, die Geschichte. Ehe und Familie sind kulturelle Muster, von denen individuelle Emanzipation so gut wie unmöglich ist. Wir alle tragen Bilder davon in uns, über die wir nicht nachdenken, die aber stark sind. Längst ist die Tradition gesprengt, nach der ein Ehepaar potenziell zugleich Vater und Mutter, die Familie automatisch Vater, Mutter, Kind ist. Doch die Tradition bestimmt unverändert unsere Assoziationen und unser Verhalten. Zum Muster Ehe drängen merkwürdigerweise auch alle, die private Bindungen anders leben: Anders jedenfalls lässt sich der Ruf nach Gleichstellung der nicht-ehelichen oder homosexuellen Beziehungen zur Ehe kaum verstehen. Und die Gesellschaft fußt auf diesen Mustern: An der Ehe haften Schutz und Privileg, die der Staat den Familien garantiert.

Der Gesetzgeber in einer wirklichen Gesellschaft muss höhere Künste beherrschen als die Tafelschreiber: Er muss moralisch begründete Wertevorstellungen fixieren, und er muss dabei lebensklug alle Realitäten einbeziehen. Sollen Homosexuelle heiraten dürfen? Der rot-grüne Gesetzentwurf sagt dazu: Nein - und schwindelt damit ehrenwert. Denn vom Standesamt bis zum Steuervorteil ist das rot-grüne Konzept der Ehe stark angelehnt. Die FDP macht einen kleineren Schritt: Sie schlägt vor, dass homosexuelle Partner ihre Bindung vertraglich fixieren und beim Standesamt dokumentieren können. Wie der rot-grüne Entwurf will die FDP zahlreiche Diskriminierungen, etwa beim Miet- und Zeugnisverweigerungsrecht ausräumen. Beim Erbrecht übernimmt sie das Vorrecht der Ehe für Schwule und Lesben.

Es könnte sein, dass der bescheidenere Vorschlag weiter reicht. Geht es denn überhaupt um die Frage, ob Schwule und Lesben heiraten dürfen? Wir sind endlich an der Schwelle angekommen, auch Bindungen vor dem Gesetz anzuerkennen, die den Vater-Mutter-Kind-Bildern der christlich-tradierten Ehe nicht entsprechen können oder wollen, naturgemäß oder aus freier Wahl. Warum dann nicht wirklich einen Neuanfang wagen, statt das Modell Ehe um Varianten zweiter Klasse zu bereichern?

Die rot-grünen Beteuerungen, der Familie werde nichts genommen, stimmen einfach nicht. Jede Ausweitung staatlicher Segnungen auf neue Personenkreise erschwert die längst überfällige Umsteuerung, die Gemeinschaftsleistungen auf die Zukunft, auf die Kinder auszurichten. Denn Ehe und Familie sind schwach geworden in unserer Gesellschaft. Schwach nicht etwa, weil die Ehe sich immer weiter säkularisiert, weil nicht-eheliche, allein erziehende und Patchworkfamilien entstanden sind. Schwach sind alle diese Familien zusammen. In einer Gesellschaft mit später Elternschaft, niedrigen Geburtenraten, hoher Lebenserwartung und wachsender Kinderlosigkeit steht "Familie" nicht mehr automatisch im Zentrum des individuellen und öffentlichen Lebens. Das Grundgesetz hat mit dem Artikel 6 sehr viel Voraussicht bewiesen. Denn der "Ehe-Artikel" ist viel kinderorientierter als die Gesellschaft des Jahres 2000. Einmal nur nennt er die Ehe; dann geht es um Erziehungsrechte und - pflichten, um die Mütter, die unehelichen Kinder. Auch das Ehegattensplitting, heute der Inbegriff der ungerechtfertigten Privilegierung der Ehe, haben die Verfassungsrichter nicht der Ehe, sondern der Kinder wegen eingeführt. Und obwohl heute eine wachsende Zahl kinderloser Ehe zu unrecht davon profitiert, ist das Splitting die hauptsächliche Entlastungsquelle für kinderreiche Familien. Es ist dabei geblieben: Wo Kinder sind, war, ist oder kommt in den allermeisten Fällen auch die Ehe. Es gibt ein Grundbedürfnis, den privaten Zusammenhalt der Familie öffentlich zu dokumentieren. Und im Konfliktfall schützt die Ehe die wirtschaftlich Schwachen in der Partnerschaft am besten. Das sind die Mütter.

Eine utopische Vorstellung: Das Kindergeld müsste nicht um zwanzig oder dreißig Mark steigen, sondern verdoppelt werden, wenn einer Familie mit drei Kindern das Ehegattensplitting gestrichen wird. Es ist dieser Gesellschaft leichter gefallen, dem Sozialsystem die Pflegeversicherung aufzubürden, als die Familien-Urteile der Karlruher Richter umzusetzen. Also muss sich auch die eingetragene Partnerschaft befragen lassen, worum es im Kern geht. Um die Übertragung historisch gewachsener Rechte von Ehe und Familie auf homosexuelle Beziehungen? Nein. Es geht um ein neues, gesetzlich verankertes Leitbild, das endlich den Homosexuellen erlaubt, was Heterosexuellen seit Urgedenken zusteht. Sollen künftig auch Schwule und Lesben ihre privaten Bindungen öffentlich dokumentieren und dabei wissen, dass sie Staat und Gesellschaft damit willkommen sind? Hier lautet die Antwort: Ja. Unbedingt.

Tissy Bruhns

Mehr unter: www.lebenspartnerschaft.de, : www

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