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Kultur: Hooligans auf der Regierungsbank

Polens politische Kultur verroht zunehmend - die Bürger gehen auf Distanz zum Staat

Sorgfältig haben sich die deutschen Behörden für die befürchtete WM-Invasion der Hooligans aus dem Nachbarland gerüstet. Dabei haben Polens wortgewaltigste Rabauken in der Heimat bereits wesentlich wichtigere Bastionen eingenommen. Der Koalitionsbeitritt zweier populistischer Parteien ist ein weiterer Tiefpunkt des seit Jahren anhaltenden Verfalls der politischen Sitten. Nicht nur verbale Polit-Hooligans können sich nun in Warschau mit den Titeln vereidigter Würdenträger schmücken.

Mit verzerrter Miene reckte der junge Mann seine geballte Faust in die Kamera. Die Aufnahme, die Rafal Wiechecki gemeinsam mit zwei weiteren grimmig dreinblickenden Anhängern des Erstligisten Widzew Lodz zeigt, prangte im März 1998 auf dem Titelblatt der Wochenzeitschrift „Polityka“. Die „Liga der Hooligans“ übertitelte das Blatt damals seinen Aufmacher. Dem Jungpolitiker der rechtsklerikalen Liga der Polnischen Familien (LPR) ist inzwischen der Aufstieg in eine ganz andere Liga geglückt. Statt der Baseballjacke trägt der 28-Jährige nun feinen Zwirn: Seit Mai ist der Mann mit den Neonazi-Kontakten Polens Minister für Seewirtschaft.

Als Skandalnudel ist der Neu-Minister in Polens nationalpopulistischer Koalition keineswegs allein. Zwei LPR-Abgeordnete ließen sich vergangenen Herbst in Krakau mit zum Hitler-Gruß erhobenen Rechten ablichten. In die internationalen Schlagzeilen gelangte der stellvertretende LPR-Chef Wojciech Wierzejski mit seinen Ausfällen gegen die jährliche Homo-Parade in Warschau. Die „Abartigen“ bräuchten den „Knüppel“, schmähte er Schwule als „Päderasten“. Der zum Vizepremier aufgestiegene Parteichef Roman Giertych erklärte der von ihm vermuteten Unterwanderung von Schulen durch Homosexuelle den Kampf. Als Erziehungsminister entließ er nun den Direktor des Zentrums für Lehrerausbildung. Der Grund: Das Zentrum hatte den offiziellen Menschenrechtsratgeber des Europarats mit Kontakt-Adressen gemeinnütziger Homosexuellen-Organisationen herausgegeben.

Um ein spürbar moderateres Auftreten ist Polens bekanntester Politrabauke Andrzej Lepper seit seiner Vereidigung zum Landwirtschaftsminister bemüht. Doch Handgreiflichkeiten begleiteten auch seinen Aufstieg zum Vizepremier. Pünktlich zu seinem Amtsantritt wurde der wortgewaltige Chef der Bauernpartei Samoobrona, der sich mit Lobeshymnen auf Hitlers Wirtschaftspolitik oder den weißrussischen Autokraten Lukaschenko einen Namen machte, wegen Verleumdung zu einer 15-monatigen Haftstrafe auf Bewährung verurteilt.

Ihre Aufwertung zu Amtsträgern verdanken Polens Populisten der nationalkonservativen Partei für Recht und Gerechtigkeit (PiS). 2001 von den Zwillingen Jaroslaw und Lech Kaczynski gegründet, verstand sich die PiS im letzten Wahlherbst erfolgreich als Partei des rigorosen Bruchs mit Korruption und Vetternwirtschaft zu profilieren. Ihre aggressiv geführte Wahlkampagne „würzten“ die beiden Staats-Erneuerer mit anti-deutschen und homophoben Spitzen: Es war der heutige Staatschef Lech Kaczynski, der als Bürgermeister von Warschau vor Jahresfrist zum Wahlkampf-Auftakt die jährliche Gleichheitsparade der Homosexuellen verbot. Die Strategie zahlte sich zumindest bei den Wählern der ländlichen Regionen aus. Bei den Parlamentswahlen wurde die von Jaroslaw geführte PiS überraschend die stärkste Partei. Sein Bruder Lech triumphierte wenig später bei der Präsidentschaftswahl.

Den Aufbruch in eine „Vierte Republik“ hatten die biederen Patrioten gelobt – stattdessen bescherten sie dem Land ein Wechselbad zwischen Krisen-Traufe und Populisten-Jauche. Statt der abgewählten Strippenzieher der Postkommunisten rangeln in Warschau nun selbst ernannte Saubermänner, provinzielle Poltergeister und engstirnige Nationalisten um die Macht: Das Klima ist unversöhnlich wie selten zuvor.

Seit Monaten wogt eine Stasi-Debatte durch das Land: Die Akten der Staatssicherheit werden bei der „wilden Lustration“ auch zur Diskreditierung missliebiger Gegner eingesetzt. „Polen den Polen,“ rief der Unbekannte, der im Mai den Warschauer Ober-Rabbi auf offener Straße attackierte. Ebenfalls in Warschau wurde kurz zuvor ein Anarchist niedergestochen, nachdem eine rechtsextreme Website seine Adresse veröffentlicht hatte. Die Verrohung der Sitten hat die Distanz zum Staat noch verstärkt. In einer Umfrage bekannten kürzlich 72 Prozent eher der anonymen EU zu vertrauen als der eigenen Regierung.

Seit langem wird hier der Staat als fremde Institution empfunden. Durch die endlosen Politskandale seit der Wende 1989 fühlen sich viele Polen in ihrem Misstrauen bestätigt, das historische Wurzeln hat: Fast zwei Jahrhunderte lang war für sie der Staat eine feindlich gesinnte Besatzungsmacht. Während sich im 19. Jahrhundert in Europa die Nationalstaaten heraus kristallisierten, war Polen von den Nachbarn von der Landkarte getilgt. Eine Identifikation mit dem eigenen Staat war nicht möglich, man versuchte, sich ihm zu entziehen.

Die kurze Zeit der Eigenstaatlichkeit zwischen 1918 und 1939 war für eine Änderung des skeptischen Staatsverständnisses zu kurz. Der deutschen Besatzung im Zweiten Weltkrieg folgten die sozialistischen Jahrzehnte. Offiziell wurde in der Volksrepublik dem Staat als heilbringender Rundumversorger gehuldigt. Doch tatsächlich begünstigte das System der Mangelwirtschaft die Korruption.

Bürgersinn ist an der Weichsel bis heute schwach entwickelt. Die klügsten Köpfe des Landes haben die Politik-Arena längst verlassen, nachgerückt sind zwielichtige Populisten, korrupte Karrieristen und eitle Selbstdarsteller. Das Niveau der Abgeordneten und ihrer Debatten werde von Urnengang zu Urnengang schlechter, klagen heimische Publizisten. Da verwundert es kaum, dass sich das Publikum abwendet. Mit 38 Prozent war die Wahlbeteiligung bei der Parlamentswahl im Herbst auf einen neuen Tiefpunkt gesackt: Nur jeder fünfte Wahlberechtige gab den heutigen Machthabern seine Stimme. Ein Ende von Polens Pein ist nicht in Sicht. Das triste Polit-Kabarett ließ eine Abitur-Klasse aus Czluchow in einem Leserbrief kürzlich einen Untersuchungsausschuss fordern. Dieser solle herausfinden, ob es unter den Parlamentariern „irgendjemand gibt, dem an Polen liegt“.

Thomas Roser

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