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Hoppe und Burmeister im Interview: Wer stets gen Westen geht, erreicht den Osten

Die Schriftstellerinnen Brigitte Burmeister und Felicitas Hoppe über private Erinnerungen und Wendeliteratur.

Frau Burmeister, Frau Hoppe, können Sie den Mauerfall trotz all der Bilder und Reden, die ihn überdecken, noch sehen?



BURMEISTER: Das ist ein Problem. Alles wiederholt sich seit 20 Jahren: Man sieht dieselben Bilder, man hört dieselben Sätze. Dabei gibt es doch ein Staunen über den Zusammenbruch eines so ehern erscheinenden Systems. Man müsste zu buchstabieren versuchen: Wie war das möglich? Welche Begriffe haben wir, wie verwenden wir sie? Meist reden wir ja von „Wende“ oder „Friedlicher Revolution“. Wirkliche Versuche, dieses Ereignis abseits vom Eingeübten zu denken, sehe ich kaum.

HOPPE: Das ist einer der Gründe, warum ich mich bis heute persönlich permanent, literarisch aber nie mit dem Thema der so genannten Wende beschäftige. Man gerät schnell ins Anekdotische oder rutscht ins Klischee. Was das Repetitive betrifft: In den Medien werden Ereignisse so einfach wie möglich verhandelt, und am Ende glaubt man, es sei wirklich so gewesen. Erinnerung ist subjektiv und emotional aufschlussreich, in Bezug auf die so genannten Fakten aber zweifelhaft. Abgesehen davon hat die ständige Wiederholung vermutlich einen ‚therapeutischen’ Zweck. Ereignisse müssen besprochen werden, um verarbeitet werden zu können. Nur wann wird das Besprechen zur Gebetsmühle?

Aber das Ereignis hat auch eine gewaltige literarische Produktion ausgelöst.

BURMEISTER: Sicher. In meinem Erleben spielte es eine große Rolle, ich sagte mir: Du musst jetzt da hingucken und das festhalten. Obwohl man weiß, man kann gar nichts festhalten. Das Festgehaltene ist wackelig, das optische Gedächtnis ist schlecht, das emotionale auch. Damals aber hatte ich den Eindruck, dass ich ein paar Dinge doch noch am Zipfel bekommen und sie in Sätze verwandeln kann.

HOPPE: Aber ist das nicht der Antrieb allen Schreibens: das Festhalten dessen, wovon man weiß, man kann es nicht festhalten? Diese Hyperproduktion, die im Osten entstand, verstehe ich gut. Problematisch war, wenn gesagt wurde: Die Geschichten aus dem Osten sind jetzt die, die uns interessieren. Ich aber komme aus der westdeutschen Provinz, das interessiert sowieso keinen – was übrigens sehr befreiend ist. Außerdem hieß es auf Podien, man habe als Westler nichts erlebt, also auch nichts zu erzählen. Ich stand schlecht da: Kein Krieg, keine Wende, nicht mal geschiedene Eltern.

BURMEISTER: Ich wurde oft mit der Unterstellung konfrontiert, ich sei „ostalgisch“. Aber wieso ist denn Erinnerung per se nostalgisch? Ich kann nicht sehen, dass ich etwas verklärt hätte.

HOPPE: Ich habe gerade Deine Erzählung „Abendspaziergang“ von Anfang der neunziger Jahre noch einmal gelesen. In der Gegend, in der das spielt, wohne ich jetzt, in Mitte, gleich neben dem Deutschen Theater. In der Erzählung geht es um das noch frische Nach-Wende-Gelände mit alten Patrouillenwegen und Todesstreifen, das plötzlich „Bauerwartungsland“ wurde. Wenn ich heute diesen Weg abschreite, freue ich mich, dass es diesen Text gibt. Denn was da beschrieben wird, ist nicht meine Mitte. Aber meine Hoppemitte gibt es auch. Das kann man jetzt nebeneinander halten. Dann versteht man, was das bedeutet: dieses Retten von Details und das Aufgehobensein einer Erfahrung im literarischen Text.

Aber die Veränderungen betreffen nicht nur den Osten. Auch die alte Bundesrepublik ist verschwunden. In Ihren Büchern, Frau Hoppe, spiegelt sich das kaum.

HOPPE: Bei einem Entdeckungsreisenden wie meinem „Pigafetta“ oder dem Ritter aus „Paradiese, Übersee“ wird man da nichts finden. Das ist ja das Schöne, dass es mehr gibt als reine Gegenwart.

Anders gefragt: Hat sich durch das Jahr 1989 für Sie, Frau Hoppe, das Spektrum des Erzählbaren erweitert?

HOPPE: Ob mir durch die Zäsur neuer Stoff zugeflossen ist? Überhaupt nicht. Aber ich bin ja eine verbohrte und in Bezug auf das politische Tagesgeschehen resistente Schriftstellerin, die das Material ignoriert, von dem sie umzingelt ist. Aber durch die Zäsur von ’89 musste ich darüber nachdenken, was Literatur soll: Muss ein Schriftsteller Chronist seiner Zeit sein? Mir geht es schlicht darum, durch das Schreiben einen Freiraum zu schaffen. Nach 1989 aber wurde man auch als Westautor genötigt, zu den „Wende“- Ereignissen eine Position einzunehmen.

BURMEISTER: Bei manchen ergibt es sich zufällig, dass die Ereignisse zum Stoff werden. Aber das passiert sicher nicht, weil ein Feuilleton den „Wenderoman“ erwartet. Ich glaube, den suchen sie immer noch.

HOPPE: Ach, der „Wenderoman“! Wenn man sich literarisch nicht positionieren wollte, gab es Vorwürfe: Eskapist! In welcher Welt leben Sie denn! Sie wohnen in dieser Stadt und nehmen nichts wahr! Da habe ich gesagt: Ja, ich nehme sie überhaupt nicht wahr. Natürlich ist das gelogen, denn man nimmt alles wahr. Mögen später die Literaturwissenschaftler erforschen, wo in meinen Texten die Berlin- und die Wende-Energie geblieben ist.

Und bei Ihnen, Frau Burmeister, gibt es durch das Jahr ’89 Dinge, die nicht mehr erzählt werden konnten oder mussten? Tut es Ihnen Leid ums Nichterzählte?

BURMEISTER: Ja, eindeutig.

Woran denken Sie?

BURMEISTER: Zu erzählen, wie es möglich war, sich in diesem untergegangenen Land nicht nur unwohl zu fühlen. Von den unterschiedlichen Alltagsgefühlen zu erzählen: Frustration, Ärger, Empörung oder Spott. Aber auch Genuss. Bis hin zu den vielen guten Beziehungen, die man hatte. Geschichten also, die nicht besetzt sind von dem Wissen, das wir heute über die DDR haben. Man müsste durch diesen Wissens-Lack hindurch, um wieder zu seinen früheren Gefühlen zu gelangen. Etwa: Erinnere dich mal an Weihnachten, sagen wir, 1962. Oder: Wie fühlte sich eigentlich eine Gesellschaftswissenschaften- Vorlesung an. Ich denke, da ist vieles zu schnell ad acta gelegt worden, weil man glaubte, es erledigt zu haben...

Welche Bilder vom Osten und Westen hatten Sie denn vor 1989?

HOPPE: Ich habe einen Teil meiner Studienzeit in den USA verbracht, in Oregon, im äußersten Westen. Aber die Erde ist rund. Wenn man immer weiter nach Westen geht, kommt man wieder in den Osten. Das fasziniert mich. Für mich war russische Literatur sehr wichtig. Als ich dann das erste Mal nach Leningrad kam, war ich ein wenig enttäuscht.

BURMEISTER: Mein Bild vom Westen war durch meine literarische Sozialisation und meine Arbeit an der Akademie der Wissenschaften französisch geprägt. Als ich zum ersten Mal nach Paris kam, hatte ich häufig das Gefühl, Bilder und Vorwissen nun in der Realität zu erleben. Das Gegenteil von Enttäuschung...

Und wie verlief der erste professionelle Kontakt, das Kennenlernen zwischen Kollegen aus Ost- und Westdeutschland?

HOPPE: Brigitte Burmeister und ich haben uns 1993 im Künstlerhaus Wiepersdorf in Brandenburg kennen gelernt. Das war das schönste Ost-West- Labor! Begeisterung und Aggressionen waren noch frisch. Weststipendiaten wie ich waren damals Eindringlinge. Im Speisesaal gab es, nicht real, sondern emotional, Ost- und Westtische. Heute, 16 Jahre später, weiß ich, dass auch Spione mit an den Tischen saßen, aber das ist eine osteuropäische Geschichte – Wiepersdorf hatte ja internationale Gäste.

BURMEISTER: Oje, das hast Du viel schärfer wahrgenommen als ich.

Konnte nicht eine Schriftstellervereinigung wie der PEN etwas zur Annäherung beitragen?

BURMEISTER: Die Institutionen haben nicht viel Gutes getan. Der PEN-Ost war vollkommen mit innerer Aufklärung und auch der Entlarvung von IM’s beschäftigt. Sicher, es kamen dann westdeutsche Kollegen, die aufgeschlossen waren. Im Ost-PEN gab es diese fast typische DDR- Haltung: Man interessiert sich für uns, das ist gut. Aber wir hatten eigentlich kaum ein Interesse am Westen. Weil sich im Osten alles änderte, gab es diese doppelte Hinwendung zu sich selbst: Man musste sich mit den Veränderungen im eigenen Leben beschäftigen.

Die wichtigste Veränderung war doch sicher das Schreiben für einen freien Markt?

HOPPE: Das ist ein Riesenthema. Die Konkurrenz ist enorm, wie setzt man sich da durch? Man muss ständig präsent sein. Und man muss produzieren. Ich bin unter solchen Bedingungen aufgewachsen. Das ist ein Unterschied zu Dir, Brigitte.

BURMEISTER: Ich habe das nicht so schnell wahrgenommen. Ich dachte, gut, ich war vorher freiberuflich, bin jetzt freiberuflich, einen Verlag habe ich auch. Dann habe ich kapiert, dass ich in andere Verhältnisse hineingekommen bin, und war verunsichert. Dieses Schreiben unter Aufsicht des Marktes wirkt aufs Schreiben zurück. Manchmal denke ich, das wäre es doch: ohne jede Rücksicht auf die Verhältnisse zu erzählen. Natürlich, keiner von uns achtet ständig auf den Markt. Aber man kriegt die Quittung. Der Markt zeigt schon, wenn man daneben liegt.

Das Gespräch führte Steffen Richter.


Brigitte Burmeister
, 1940 in Posen geboren und in Halle/Saale aufgewachsen, sorgte mit ihrem experimentellen Debüt Anders oder Vom Aufenthalt in der Fremde 1987 für kontroverse Debatten in der DDR. In ihren späteren Gegenwartsromanen „Unter dem Namen Norma“ oder Pollok und die Attentäterin demontiert sie Stereotypen und Klischees, die im Gefolge der Wiedervereinigung entstanden sind.

Im Werk der 1960 in Hameln geborenen Felicitas Hoppe spielt die deutsche Alltagswirklichkeit hingegen kaum eine Rolle. Ihre Romane wie „Pigafetta“ oder „Paradiese, Übersee“ erkunden in abenteuerlichen und zugleich formbewussten Arrangements die
Möglichkeiten der Literatur, Freiräume zu schaffen. Zuletzt erschien „Johanna“ (2006) eine andere Geschichte der Jeanne d’Arc.

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