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Kultur: Hot noch nischt gesogt dos letzte Wort

Drei bis vier Millionen Menschen sprechen weltweit Jiddisch. Die Jüdischen Kulturtage in Berlin zeigen nun, wie lebendig diese vom Aussterben bedrohte Sprache immer noch ist

Als einmal ein Mann in eine große Flut kam, so erzählt man auf jiddisch, luden ihn seine Freunde in ein Boot ein. Der Mann lehnte ab: „Gott wird mir helfen.“ Die Flut stieg ihm bis zur Hüfte. Wieder kam ein Boot, doch der Mann blieb im Wasser. Als ihm die Flut schon bis zum Hals stand, kam ein drittes Boot, und der Mann verneinte abermals: „Mein Gott wird mich retten.“ Nachdem der Mann ertrunken war und im Himmel ankam, fragt er Gott, warum er ihn nicht gerettet habe. „Du Idiot“, anwortete Gott. „Ich habe dir drei Boote geschickt!“

Kaum eine Sprache ist derart reich an Witz, blumigen Redewendungen, Verwünschungen und Weisheiten wie das Jiddische. Viele dieser Witze haben einen historischen Hintergrund. So schilderte die Anekdote vom Ertrinkenden die Konflikte zwischen zionistischen Auswanderern und orthodoxen Juden. Die Flut symbolisiert die Wellen der Verfolgung der europäischen Juden, die auch die jiddische Sprache fort gespült haben.

„Jiddisch ist viel mehr als eine Sprache, es ist eine Lebensart“, sagt Peggy Lukac. Die Schauspielerin und Regisseurin organisiert gemeinsam mit Elvira Grötzinger und Moishe Waks die Berliner Jüdischen Kulturtage, die am Sonnabend beginnen. Als Tochter eines Wiener Holocaust-Überlebenden in New York geboren, hörte Peggy Lukac schon in ihrer Kindheit Jiddisch. Lukac wuchs in Wien auf und kam 1972 nach Berlin, wo sie politisches Theater machte. Dem heutigen Publikum ist sie von der Bühne des Schiller-Theaters bekannt und aus Fernsehrollen von „Tatort“ bis „Cobra 11“. Mit jüdisch-zeithistorischen Themen hat sie sich jahrzehntelang beschäftigt, etwa in ihrer Bühnenbearbeitung von deutschen Tagebüchern der Jahre 1933 bis 1945 („Tiefenenttrümmerung“) oder dem Solostück „Die Galizianerin“ an der Freien Volksbühne.

Für das Jiddische begeistert sich Peggy Lukac mit ungespielter Leidenschaft. „Wir wollen zeigen, wie lebendig diese Kultur noch immer ist.“ In der Jüdischen Gemeinschaft steht es nicht im besten Ruf, denn das Jiddische wurde in der jüngeren Vergangenheit im Land der Täter gerne für Betroffenheitskitsch missbraucht. „Wenn ein Nichtjude Jiddisch singt, dann zieht er sich gerne ein weißes Hemd und eine schwarze Weste an und sagt immerzu ‚oioioi‘“, kritisiert Lukac. „Würde aber ein deutscher Blues-Sänger auf die Idee kommen, sich schwarz anzumalen?“ Nachgeahmter Klezmer wird von Juden deshalb gerne als „Goizmer“ belächelt (den Nichtjuden nennt man einen „Goi“). Auch kam es oft zu peinlichen Situationen, wenn etwa jüdische Exilanten in Berlin mit Klarinette und Fidel empfangen wurden, obwohl sie zu Hause in Tel Aviv oder New York Mozart, Schönberg oder Wagner hören und mit östlicher Folklore rein gar nichts zu tun haben.

Für diese Missverständnisse kann das Jiddische selbst nichts. „Es ist niemals kitschig, sondern eine historisch gewachsene Kultur“, sagt Lucac. Diese Kultur lässt sich bis ins 10. Jahrhundert zurückverfolgen. Damals zogen Juden an den Niederrhein. Sie vermischten ihre hebräisch-aramäische Muttersprache mit dem damaligen Deutsch und schrieben es in hebräischer Schrift. Der verstreuten jüdischen Gemeinschaft diente das Jiddisch fortan als eine Art innerjüdisches Esperanto, obwohl sich assimilierte Juden wie Moses Mendelssohn davon abgrenzten – und dies bis heute tun. Doch in Osteuropa, vor allem in Galizien, entwickelte sich das Jiddisch über die Jahrhunderte zu einer vielfältigen Kultur aus Musik, Theater, Film, Kabarett und Literatur.

In Berlin war Jiddisch in der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts eine viel gesprochene Sprache. Osteuropäische Juden, die vor Krieg und religiöser Unterdrückung nach Berlin flohen, brachten es als ihre Alltagssprache mit, und nicht nur in den jüdisch geprägten Wohngebieten um Grenadier- und Dragonerstraße erklang das Jiddisch an fast jeder Ecke. Im ersten Drittel des Jahrhunderts erschien eine vielfältige jiddische Presse in Berlin. In ihrem Buch „Presse im Transit“ zählte Marion Neiss mindestens 31 jiddischsprachige Zeitungen und Zeitschriften – allein in Berlin (Metropol-Verlag: Berlin 2002). Von 1910 bis 1925 verdreifachte sich die jiddischsprachige Leserschaft für Periodika wie die „Jiddische Illustrierte Zeitung“ oder „Das freie Wort“.

Kaum eine Sprache dürfte die Berliner Mundart so nachhaltig geprägt haben, wie das Jiddische. Wenn der Berliner „malochen“ geht, um „Kohle“ zu machen, so spricht er Jiddisch, ohne es zu wissen. „Chuzpe“, „Mischpoke“ oder „Tacheles“ sind eben so in den Berliner Wortschatz eingeflossen wie viele andere jiddische Vokabeln, wie Andreas Nachama in seinem Wörterbuch des Jiddischen (Jiddisch im Berliner Jargon, Stapp Verlag, Berlin 2003) nachweist. Deutsche, die in Israel oder Antwerpen einmal den Gesprächen orthodoxer Juden gelauscht haben, stellen erstaunt fest, wie viel sie davon verstehen.Vertreibung und Vernichtung zerstörten diese Kultur hierzulande fast vollständig und auch in Palästina setzte sich das Jiddische offiziell nicht durch. Die alte Sprache wurde in der Aufbruchsstimmung des jungen, modernen Erez Israel mit dem „Schtetl“ und der Kabbala verbunden – und zudem als Sprache der Opfer assoziiert. Erst in den späten Achtzigerjahren förderte man das Jiddische in Universitäten und Kultur – nicht nur in Israel. Der späte Artenschutz kommt vermutlich zu spät. Das Jiddische steht heute im „Rotbuch der gefährdeten Sprachen“ der Unesco. Während 1935 weltweit cirka 10, 7 Millionen Menschen jiddisch sprachen, zählt das New Yorker YIVO-Institut heute nur noch 3 bis 4 Millionen.

Die Jüdischen Kulturtage zeigen die sterbende Sprache nun in einer ungeahnten Lebendigkeit. Neben traditionellen Klezmerkonzerten und Geschichtenerzählern ist das Jiddisch neuerdings Ausdrucksmittel einer jungen jüdischen Szene, wie sie sich etwa in New York um das Magazin „HEEB“ formiert. Heeb, abgeleitet vom amerikanischen „hebrew“, ist ein amerikanisches Schimpfwort für Juden – wie das abwertende „Nigger“ für Schwarze. Vergleichbar vielleicht mit der deutsch-türkischen Kanak-Bewegung nennen sich junge New Yorker Juden neuerdings stolz und trotzig selber „Heebs“.

Mit Artikeln über Hakennasen und Hakenkreuze, jüdische Prostituierte und Transsexuelle erregte ihr Magazin weltweites Aufsehen. Die Heeb-Macher, die während der Kulturtage eine Party feiern werden (22.11. in der Villa Elisabeth), benutzen auch Jiddisch als Medium ihrer provokanten Botschaften. Die Beth-Zion-Synagoge in der Brunnenstraße 33, die in der DDR als Lagerraum diente, verwandelt sich in „A Jiddisch Gass“, ein multimedial bespieltes Kaffee- und Kulturhaus mit jüdischen Spezialitäten, Zeitungen und einer historischen Ausstellung über die kaum bekannten Räume, die nach ihrer Restaurierung erstmals zu besichtigen sind, und in einer langen Nacht der Synagogen öffnen sich auch andere Gotteshäuser (Sa., 22.11. ab 18 Uhr).

„Wir wollen keine Vergangenheitsbewältigung, keine Klezmeritis und auch kein Stelenbusiness“, formuliert Peggy Lukac offensiv. Ihr gehe es um den Dialog, und – wenn notwendig – auch um den Tabubruch. Das „Jiddisch Land“ – so der Titel der Kulturtage – wird damit sicher nicht wieder gewonnen werden. Für die Dauer eines Festivals hält es aber noch einmal Einzug in eine Stadt, in der es zumindest zeitweise einmal heimisch war. Aber, so sagte Isaac Bashevis Singer 1978 in seiner Dankesrede für den Literaturnobelpreis: „Jiddisch hot noch weit nischt gesogt dos letzte Wort“ – das Jiddische hat noch nicht sein letztes Wort gesprochen.

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