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Kultur: Hüftgold und Kartoffelknie

Wucherwissen: Heinz Strunks Roman „Die Zunge Europas“

Den Verriss zu seinem neuen Buch liefert Heinz Strunk gleich selber mit. „Der Text ist ein rundum misslungenes Ärgernis“, schreibt er im vorletzten Kapitel. „Ohne Sound, Gehalt, innere Rhythmik und Strömung holpert das grobmaschig gestrickte Geschwätz von Schlagloch zu Schlagloch, die an allen Enden knarzende Syntax eingeklemmt zwischen den rostigen Scharnieren affekthascherischer Neologismen.“ Es handelt sich um eine fiktive Kritik zu einem fiktiven Roman, den Strunks Held Markus Erdmann zu Papier bringen möchte, ohne dann mehr als 300 Seiten lang tatsächlich dazu zu kommen.

Zufällig soll dieser Roman den Titel „Die Zunge Europas“ tragen. Genauso heißt Strunks Buch, dem der Verlag großzügigerweise die Gattungsbezeichnung „Roman“ verliehen hat. Strunks Sätze holpern und knarzen tatsächlich, allerdings tun sie dies auf eine oft sehr kunstvolle Weise, und seine Betrachtungen enden nicht selten im Geschwätz. Diese Geschwätzhaftigkeit erhebt der Autor sogar in bester Dada-Manier zum Programm: „Produktion von Sinn durch Erzählen, ohne dass Sinn vorausgesetzt wird!“

Bestseller können zum Fluch werden. Sie machen den Autor zum Gefangenen der Erwartungen seines Verlags und seiner Leser. Der Hamburger Musiker, Humorist und Gelegenheitsschauspieler Heinz Strunk veröffentlichte 2004 seinen Debütroman „Fleisch ist mein Gemüse“, ein gleichermaßen hochkomisches und tieftrauriges Buch, in dem er seine verkorkste Jugend als Mitglied einer Schützenfest-Tanzkapelle namens „Tiffany’s“ und das langsame Dahinsterben seiner Mutter im „Zwergenhaus“ einer norddeutschen Vorstadtsiedlung schildert. „Fleisch ist mein Gemüse“ wurde verfilmt und hat inzwischen die 25. Auflage erreicht. Komisch ist auch „Die Zunge Europas“. Nur hat Strunk nicht mehr wirklich etwas zu erzählen.

Während „Fleisch ist mein Gemüse“ noch die Jahre von 1985 bis 1997 umfasste, ist die Handlung diesmal auf eine Woche im Hier und Jetzt zusammengeschrumpft. Jeder Tag hat ein eigenes Kapitel, und was Strunks Alter Ego Markus Erdmann, ein erfolgloser und zutiefst verzweifelter Comedy-Autor, in diesem kalendarischen Reigen erlebt, entbehrt jeglicher Sensation. Er besucht seine dementen Großeltern in ihrer „Käfersiedlung“ genannten Kleinbürgerhölle, unternimmt einen ICE-Ausflug in die Wichtigtuerwelt einer Berliner Filmproduktionsfirma, zieht mit einer alten Bekannten vom „Pudel Club“ bis zum „Elbschlosskeller“ durch die Absturzkneipen von St. Pauli und trennt sich am Ende von seiner Freundin, mit der er ohnehin schon seit Jahren keinen Sex mehr hat. Erdmann – „was für ein mittelmäßiger Name, da ist die Begrenzung schon mit eingebaut“ – ist ein Gigant der Antriebslosigkeit. Statt zu handeln beobachtet er lieber: sich selber und die anderen.

Veränderungen an seinem Körper registriert er mit neurotischer Übergenauigkeit. Auf die Schilderung, dass sich die „drei kleineren Subschwarten“ seines Bauches langsam zu einer „Hauptschwarte“ vereinigen, folgt eine Auflistung geradezu lyrischer Körperfettbezeichnungen, von „Treppenkinn“ über „Kartoffelknie“ bis „Hüftgold“ und „Fleischmütze“. Mehr noch als die eigenen Unzulänglichkeiten fallen diesem Lebenszeit-Aussitzer aber fremde Mängel auf: die „witzige“ lila Brille und der Hosenanzug, der die Nachbarin im Café „wie eine Grünen-Politikerin aus den frühen Neunzigern“ aussehen lässt, der grau angelaufene Schneidezahn einer Bedienung als „Schönheitsfleck paradox“. Für die Begegnung mit einem Pförtner benötigt Strunk so schon mal eine halbe Seite, bevor sein Protagonist einen Bus besteigt, erinnert er sich vier Seiten lang an Busfahrten mit seiner Mutter. Bauchnabelprosa, die komische Variante.

Stark ist der Sprachfetischist Strunk immer dann, wenn er seine Worte genüsslich abschmeckt, wenn er altmodischen Bezeichnungen wie „Herrenausstatter“, „Stützstrumpf“ und „Holzpyjama“ (österreichisch für Sarg) huldigt oder zu Kurzpolemiken gegen den „Gagmilitarismus“ der Comedy-Shows ausholt. Doch zur schlüssigen Romanhandlung fügt sich seine Aneinanderreihung von Alltagsbetrachtungen, O-Ton-Montagen und Fernsehnacherzählungen nie.

Der Titel des Buchs geht übrigens auf einen Onkel des Helden zurück, der Kaffeeverkoster im Hamburger Freihafen war und wegen seines Geschmackssinns als „Zunge Europas“ gerühmt wurde. Das Buch quillt über vor Zusatzinformationen und derlei Dönekes. Oder, um es in den Worten des Autors zu sagen: „Schrottinfos, tumorartiges Wucherwissen.“

Heinz Strunk: Die Zunge Europas. Roman, Rowohlt, Reinbek 2008, 317 Seiten, 19,90 €

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