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Kultur: Hüpfendes Herz

Splitter voller Weisheit und Schönheit: Friederike Mayröckers neues Buch „études“.

„nun eigentlich, deklamieren die Büsche, er liebkoste meinen Garten, ach das Mysterium einer angebissenen Birne einer offenen Tür einer welken Blume eines vergiszmeinnichtblauen Augenpaars“: So lesen wir in einem der schönsten jener fast zweihundert kurzen Texte, die die Dichterin Friederike Mayröcker in ihrem neuesten Buch „études“ vereinigt hat. Die Stelle findet sich auf Seite 178. Man muss sich das merken, um sie wiederfinden, denn die Texte dieses Buches haben weder Titel noch Inhaltsverzeichnis. In diesen neuen Arbeiten sind Wahrnehmungen und Wortfindungen, Zitate und Verfremdungen so dicht miteinander verwoben, dass es gar keinen anderen Weg als die konzentrierteste Lektüre gibt.

Es sind, um es mit einem Goethe-Wort zu sagen, „Bruchstücke einer großen Konfession“, wobei Goethe von der Beschaffenheit solcher Bruchstücke sicher noch einen anderen Begriff hatte. Mayröcker breitet kleinteilige, wieder in sich gebrochene Splitter voller Weisheit und Schönheit vor dem Leser aus. Sie leuchten hinab in die Tiefe des Traums, erhellen den Tag mit berückenden Naturbildern und erotisch aufgeladener Reminiszenz und enthalten auch manch schönen surrealen Unsinn. Sie bespiegeln einander in mannigfaltiger Verschränkung und das Erzählen wird mit dem bei Jean Paul entliehenen Motto wieder einmal auf Distanz gehalten: „und ich hasse doch, sogar im Roman, alles Erzählen so sehr.“

Aber Gedichte im engeren Sinn sind es eben auch nicht. In einer Pendelbewegung zwischen den Gattungen entwirft Mayröcker das Schreiben mit jedem Tag neu, und das ist ganz wörtlich zu nehmen: Jeder Abschnitt trägt das Datum eines einzigen Tages. Die Chronologie der Komposition wird so zum sinnstiftenden Kontinuum. Folgt man den Einträgen vom 11. Januar 2011 bis zum 16. Dezember 2012, hält man ein sprechendes Werk in den Händen – die Ernte zweier Jahre aus dem Leben einer Dichterin, die ihre Existenz nicht erst seit dem Tod ihres Gefährten Ernst Jandl ganz unter den Stern des Schreibens gestellt hat.

Bedenkt man, dass früheste Gedichte der 1924 in Wien geborenen und seither dort lebenden Autorin bis 1939 zurückreichen, kann einen ein Schwindel erfassen angesichts der verstreichenden Zeit. Die Prosabände und Gedichte der Büchner-Preisträgerin von 2001 folgten von jeher ganz der eigenen Spur, in meilenweitem Abstand zu allem, was gängig ist.

Ihre Leser hat sie immer gehabt, und so sehr sich diese an einen Sound und einen bestimmten Zauber gewöhnten, so wenig ist ihr künstlerischer Ehrgeiz je zum Stillstand gekommen. Jetzt, mit knapp neunzig, überrascht Mayröcker mit Übungen, als finge sie noch einmal von vorn an. Die Etüde gilt in der Musik als Übungsstück zum Erlernen spezieller spieltechnischer Fertigkeiten. Künstlerisch gestaltet und zum virtuosen Vortrag bestimmt, hält der Brockhaus fest, seien Konzertetüden von Liszt, Chopin, Debussy, Scrjabin. Die Wahl des Titels, „études“, lässt sich im Licht dieser Gattungsbestimmung lesen: Die Virtuosität der literarischen Methoden hat Friederike Mayröcker nochmals verfeinert. So wild montiert und die Semantik aus den Angeln gehoben hat sie seit den sechziger Jahren nicht mehr, und die Melancholie, die von jeher über ihrem Schreiben liegt und es so anziehend macht, scheint sie verscheuchen zu wollen mit der schieren Vitalität ihrer Kunstgriffe. Dabei ist die Reflexion auf die Methode selbst eines der Motive, die stets wiederkehren. „alles Berechnung alles Bricolage: habe keine poet. Ethik.“

Bricolage bedeutet Basteln; „nehmen und verknüpfen, was da ist“, hat Claude Lévi-Strauss dieses Verfahren bestimmt. So lässt sich ihre Methode erfassen: Abschriften aus der Lektüre, Notizen, Beobachtungen, Gesprächsfetzen und das nie aufhörende Nachdenken über das Leben und den Prozess des Alterns bilden Mayröckers Stoff, den sie stets neu vernäht. Sich selbst kühler Berechnung zu zeihen ist ebenfalls ein literarischer Trick, der ablenken soll von romantischer Sehnsucht und Innigkeit, die sie gelegentlich in ihren neuen Texten als „le kitsch“ brandmarkt, und die doch wie das Kalkül zu ihrem poetischen Wesen gehören.

Wie groß die Spannweite dessen ist, was Mayröcker in ihrer Sprache bündelt, zeigen ihre Kürzel. „D.“ steht für Deinzendorf, einen Ort im Weinviertel, in dem sie ihre Kindersommer verlebte. Der Fliederbaum, der Ziehbrunnen, die Schwalben – Bilder aus dieser frühesten Naturerfahrung bilden den einen unversiegbaren Brunnen ihres Schreibens. Den anderen bildet die avancierteste Lektüre, insbesondere Jacques Derridas (= JD), dessen Werk „Glas: Totenglocke“ mit seinen Methoden der Dekomposition und Montage, ein dauerhaft begleitender Ansporn geworden ist. „Es ist das Etamin, so JD, die Mutter schneiderte mir zarte Etaminkleidchen für die heiszen Sommertage in D., am Nacken zu schlieszen mit kl. Perle … ,Eitelkleid’, der Flug oder Diebstahl der Schwalben.“

Mit Derrida nach Deinzendorf, mit der Totenglocke in die Kindheit: So einen Flug durch Zeit und Raum, auf den Höhen des Geistes in die noch ganz mit den Sinnen erfasste erste Welt, erlaubt nur das mit aller Passion behauptete, gegen den Tod gesetzte Schreiben: „Gesetz der Verdammnis, es hüpft mein Herz so liebe ich dieses Leben aber einmal wird es wie 1 Seifenblase, zerplatzen welch ein Unfug dasz wir davon müssen, halt mich fest.“ Norbert Hummelt

Friederike Mayröcker: études. Suhrkamp Verlag, Berlin 2013. 196 S., 19.95 €.

Norbert Hummelt

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