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Kultur: Huldigungen sind wie Zündhölzer

Noch eine gute Woche, dann hat der verehrte Tote wieder seine Ruhe.Sinnstiftung allenthalben: Das Fontane-Jubiläumsjahr neigt sich dem Ende zu, und der Eindruck verstärkt sich, daß es im akuten preußisch-berlinischen Selbstfindungsprozeß zur rechten Zeit gekommen ist.

Noch eine gute Woche, dann hat der verehrte Tote wieder seine Ruhe.Sinnstiftung allenthalben: Das Fontane-Jubiläumsjahr neigt sich dem Ende zu, und der Eindruck verstärkt sich, daß es im akuten preußisch-berlinischen Selbstfindungsprozeß zur rechten Zeit gekommen ist.Des Neuruppiners Wahrheiten über sein "Fontanapolis", die ewig im Werden begriffene, zufällige Hauptstadt, wirken in ihrer verständnisvollen Skepsis ganz frisch, nicht, als ob sie aus dem 19.Jahrhundert stammten.Die Ausstellung "Fontane und sein Jahrhundert", die in den, teilweise seit Jahrzehnten erstmals wieder zugänglichen Räumen des Märkischen Museums gezeigt wird, schließt sich an die Schau "Fontane und die bildende Kunst" in der Nationalgalerie an und ergänzt sie.Zu beiden Ausstellungen sind Kataloge bei Henschel erschienen, beziehungsweise "Henschel Verlag in der Dornier Medienholding", wie der traditionsreiche frühere DDR-Verlag jetzt den Zeitläuften gemäß heißt.All diese Anlässe kulminierten in der Nikolaikirche zu einem Festakt, mit Senatoren und Senatoren a.D.im Publikum sowie, wurde vom Verlag versichert, Nachfahren einzelner Figuren aus den 17 Romanen Fontanes.Thomas Bading und Daniel Morgenroth zitierten in ihrem Programm "Fontane & Fontane" aus den echten und unechten Korrespondenzen des Journalisten.1860 war Fontane in "arge Verlegenheit" geraten und nahm das Angebot der "Kreuzzeitung" an, den englischen Artikel zu redigieren.

"Huldigungen sind wie Zündhölzer: eine zufällige Friktion, und der Brand ist da": Peter von Becker bezog den Titel seiner Festrede aus dem 17.Kapitel der "Cécile".Seinem Vortrag über "Deutschlands ersten Romancier von internationalem Rang" sollte gelingen, was bei soviel Fontane-Folklore schon kaum mehr möglich schien - ohne Verklärung des Jubilars schlug er die Brücke vom fin de siècle 1898 zu heute, zeichnete den "Letztjahrhundertjährigen", den "Klassiker noch von Kunst und Natur" als antizipatorischen Geist, etwa was Fontanes Verständnis des Dramas angeht: "Er hat Mitte des letzten Jahrhunderts beim zirzensischen Shakespeare-Theater des Mister Kean in London über hundert Jahre vor Peter Zadek erspürt, was vitale Schauspielerei sein könnte, was ein phantastischer Realismus, der zwischen Derbem und Erhabenem - heute würden wir sagen: zwischen E- und U-Kultur - keine hohltönenden Schranken errichtet, auf einer Bühne vermag.Im Berliner königlichen Schauspielhaus vom berühmten Parkettplatz 23 aus sah er dann meist nur noch den Abglanz, den Zierat klassizistischer Verkünstelung." Peter von Becker attestierte Fontane, der gegen den wohlfeilen Antisemitismus der wilhelminischen Ära durchaus nicht gefeit war, auch in diesem Punkt eine höhere Einsicht."Immer wieder, immer stärker" habe der Zeitzeuge den Beitrag der Berliner Juden zur entstehenden metropolitanen Kultur der Stadt betont: "Was er ein halbes Jahrhundert vor der Katastrophe hier schreibt, liest sich ein weiteres halbes Jahrhundert später wie das Vorzeichen der größten Wunde: gerade auch dieser Stadt, dieser wieder werdenden Hauptstadt." Theodor Fontane als "Erzähler der Schwebe und des vieldeutigen Schweifens" mit dem Grundprinzip der "wechselvollen Immanenz", wie ihn der Laudator charakterisierte, ermuntert zu mannigfachen Vereinnahmungen, der hundertste Todestag zeigt es.Das in der Nikolaikirche entzündete Phosphorholz erwies sich als Ausnahme.

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