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Das Berliner Stadtschloss, 1947, vom Lustgarten aus gesehen.

© Gerhard Gronefeld/DHM

Humboldt-Forum: Die ganze Welt im Schloss

Das Humboldt-Forum nimmt seine Arbeit auf. Was aber war das Gebäude, das mitten in Berlin wieder errichtet wird? Ein Blick auf Vergangenheit und Zukunft.

Die „Schloss-Attrappe“, die Imagination des Berliner Schlosses durch eine Installation aus Rohrgerüst und bemalten Plastikplanen, liegt mittlerweile 23 Jahre zurück. Es war ein Geniestreich. Denn mit einem Mal war sinnliche Anschauung gegeben. Und die wurde immer wirkmächtiger. Jetzt steht die Schloss-Rekonstruktion im Rohbau, und die Fassaden, die nach dem barocken Vorbild wieder zu errichten der Bundestag als Geldgeber 2003 gleich mitbeschloss, wachsen in Ziegel und Sandstein in die Höhe. Die nun auch schon wieder jahrzehntelange Entstehungsgeschichte ist nachzulesen in der vorzüglichen Publikation, die die beiden Mit-Erfinder und wortmächtigen Verfechter der Forums-Idee, Horst Bredekamp, inzwischen Mitglied der Dreier-Intendanz, und Peter-Klaus Schuster, Ex-Generaldirektor der Staatlichen Museen, kürzlich vorgelegt haben (Wagenbach Verlag, Berlin 2016. 424 S., 15,90 €).

Man sollte meinen, wir wüssten mittlerweile, was das Schloss war; oder andersherum, was da wieder errichtet wird. Gewiss, nicht das Schloss entsteht neu. Es entsteht seine Hülle, die einen modernen Bau umschließt, und dieser ist es, den der Name Humboldt-Forum meint.

Merkwürdigerweise ist gar nicht genau bekannt, was dieses Schloss eigentlich war. Das nunmehr offiziell in Gang gesetzte Humboldt-Forum, so betont es die dreiköpfige Gründungsintendanz andauernd, soll der öffentliche Ort par excellence werden, Tag und Nacht geöffnet, mit Passage und Piazza. Dieses Haus, so Horst Bredekamp, werde „die Urbanität geradezu entfesseln!“.

Der Ko-Intendant, durch seine Professur an der Humboldt-Universität den namensgebenden Brüdern Wilhelm und Alexander von Humboldt quasi anverwandt, rief es aus zum Abschluss einer Tagung, veranstaltet von der Stiftung Humboldt-Forum mit der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten (SPSG). Unter dem Titel „Ein öffentlicher Ort“ stellten Forscher ihre Studien vor. Der unschöne, halb souterraine Vortragssaal der HU-Bibliothek reichte bei Weitem nicht aus, die Interessenten zu fassen.

Bekanntlich wurde das Schloss 1950 auf Beschluss des Politbüros der SED gesprengt. Es wurde durchgängig als „Ruine“ bezeichnet, obgleich nach dem Krieg bereits Ausstellungen in erhaltenen Räumen gezeigt wurden. Der Abrissbeschluss erfolgte weniger aus Hass auf das Preußentum als vielmehr eher beliebig. Noch während der Vorbereitung der wochenlangen Sprengungen wurde innerhalb der SED und dem Magistrat von Ost-Berlin hin und her diskutiert. An die Stelle der Erhaltung trat dann ein „zitatives Bewahren“, so Martin Sabrow vom Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam. „Die leere Hülle fällt, aber die großen menschlichen Leistungen blieben bewahrt“, wie Kurt Liebknecht schrieb, führender Baufunktionär der DDR. So blieb das Portal, von dem aus der Legende nach Karl Liebknecht am 9. November 1918 die „sozialistische Republik“ verkündet hatte, erhalten.

Erstaunliche Zwischenzeit

Zum Zeitpunkt der Sprengung war das Schloss bereits seit 32 Jahren nicht mehr Residenz. Die Zwischenzeit ist erstaunlich. Margarete Pratschke (ETH Zürich) hat bislang 56 gewerbliche und institutionelle Mieter ausfindig gemacht, die das fürstenlos gewordene Gebäude nutzten, von der „Zentrale für Kinderspeisung“ bis zum „Fürsorgeamt für Beamte aus den Grenzgebieten“. Besonders penetrant – und erfolgreich – betrieb das Psychologische Institut der Friedrich-Wilhelms-Universität seinen Einzug. Die mittlerweile gern behauptete „Öffentlichkeit“ des Schlosses zeigt sich eher in Form von „Teilöffentlichkeiten“, die ein und aus gingen. Allein das 1921 hierhin verlegte Kunstgewerbemuseum sprach ein allgemeines Publikum an.

Es folgte seinerseits der Brandenburgischen Kunstkammer nach, die bereits den Vorgängerbau des Schlüter’schen Königsschlosses geziert hatte. Diese Sammlung von Objekten der Natur und der Kunst, von Naturalia, Artificalia und – eigens betont – Antiken war durchaus nicht nur dem Hof zugänglich. Wie in vielen europäischen Residenzen konnten Interessenten sich vom Kastellan führen lassen, vor allem durch die prachtvollen Paradekammern als Zentrum höfischen Zeremoniells.

Als Bezahlung wurde ein Trinkgeld erwartet, dessen Höhe im Laufe der Zeit sogar fixiert wurde, allerdings nur von solventen Besuchern aufgebracht werden konnte. Hingegen stand die Benutzung der Königlichen Bibliothek jedermann zu festen Zeiten offen, und selbst das Hoftheater war nach Maßgabe freier Plätze für Gemeine zugänglich. Wie Michaela Völkel (SPSG) berichtete, wurden mittwochs „französische Komödien“ gegeben.

Immense politische und mediale Aufwertung

Um den Zugang zur Kunstkammer entbrannte der „erste Berliner Museumsstreit“, so Eva Dolezal (HU): Ihr Verwalter, Jean Henry, zielte auf „gelehrte Unterhaltung für das gebildete wie ungebildete Publikum“, die Wissenschaftler der Berliner Akademie hingegen pochten auf ihre Forschungszwecke. Frisch aus Paris und vom Besuch des Louvre zurück beschrieb Henry die Kunstkammer 1805 im Titel einer Publikation bereits als „Kgl. Kunst-, Naturhistorisches und Antikenmuseum“. Die Idee eines eigenen Museumsgebäudes, die erst 1830 mit Schinkels Bauwerk am Lustgarten Wirklichkeit wurde, war „um 1800 Konsens“.

Mit dem Auszug der Sammlungen verlor das Schloss einen Teil seiner Funktionen. Die Rolle als zeremonieller Mittelpunkt, die unter den preußischen Königen zwischen Berlin, Potsdam, Charlottenburg und weiteren Schlössern im Umland in wechselnder Gewichtung verteilt war, suchte Wilhelm II. als Deutscher Kaiser entschieden zu verstärken.

Die Welt als Ganzes erfahren - bei freiem Eintritt

Es kam zu einer „immensen politischen und medialen Aufwertung“, so Hartmut Dorgerloh, Direktor der Preußischen Schlösserstiftung. „Mit der erzwungenen Huldigung an die Märzgefallenen von 1848“ durch Friedrich Wilhelm IV. „war das Schloss für die Hohenzollern kontaminiert“, spitzte Horst Bredekamp zu, dessen Engagement für das Forum-im-Schloss-Konzept immer wieder aufbrandete: „Wilhelm II. suchte das Schloss mit allen Mitteln zurückzuerobern und zeremoniell zu besetzen.“ Es stehen sich mithin zwei Elemente der Vergangenheit gegenüber: das des öffentlichen, fast schon bürgerlichen Ortes und das des dezidierten Herrschaftsausdrucks. Wie damit umgehen?

Gründungsintendant Neil MacGregor, der charmanteste Öffentlichkeitsarbeiter des Humboldt-Forums, weist hingegen in die Zukunft eines Hauses, in der – im Sinne der Humboldt-Brüder – „die Welt als Ganzes“ erfahren wird. Und zwar bei freiem Eintritt: „Das wäre ein wunderbares Zeichen, dass das Humboldt-Forum für alle Bürger gebaut wurde.“ Mal um Mal, so auch beim Abendvortrag in Schloss Charlottenburg, zitiert der Ex-Direktor des British Museum Alexander von Humboldt aus einem Brief an Wilhelm: „Ideen können nur nützen, wenn sie in vielen Köpfen lebendig werden.“ Chapeau! Zumindest nach Maßgabe der Selbstbegeisterung hat das Humboldt-Forum jetzt schon Weltniveau.

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