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Der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) will im Stadtschloss, dessen Rohbau fertig ist, Berliner Geschichte präsentieren.

© Bernd von Jutrczenka/dpa

Humboldtforum: Was das Stadtschloss über die Deutschen aussagt

Wer nicht in Deutschland aufgewachsen ist, kann die schwärmerische Verehrung für das Stadtschloss kaum verstehen. Aber es ist ein vergeblicher Traum: Man kann nicht wieder alles aufbauen, als ob nichts gewesen wäre. Eine Kolumne.

Eine Kolumne von Pascale Hugues

Hören Sie mir bloß mit dem Stadtschloss auf! Kein Wort mehr davon! Nicht zum ersten Mal bekomme ich diese gebieterische Anweisung zu hören. Das Schloss wirkt wie ein Knallfrosch in der kultivierten Choreographie eines Gesprächs und garantiert, dass der Abend im Streit enden wird. Jeder geht mit verschlossenem Gesicht und Wut im Bauch nach Hause. Seltsames Verbot: Für uns Ausländer symbolisiert der Wiederaufbau des Stadtschlosses das verkrampfte Verhältnis der Deutschen zu ihrer Geschichte.

Als ich vor ein paar Tagen abends von Prenzlauer Berg nach Haus fuhr, in Gedanken versunken, im Radio melancholischer Jazz, stieß ich einen Schrei aus. Berlin ist ununterbrochen in der Mauser: Keine Stelle, die sich nicht von einer Woche zur anderen bis zur Unkenntlichkeit verändert. Seit dem Sommer war ich nicht mehr hier. Und plötzlich tauchte aus dem Halbdunkel eine hohe graue Masse auf, die bis zum Bordsteinrand gequollen war. Eine von Fenstern durchlöcherte Betonmauer. Das Skelett einer Fassade. Aus vollem Hals schrie ich das verbotene Wort: das Stadtschloss!

Die Berliner schreien sich wegen Projekten an, die sowieso nie verwirklicht werden

Weil ich nicht mehr davon sprechen durfte, hatte ich am Ende geglaubt, es würde niemals aufgebaut werden. Das Stadtschloss? Ein Thema wie maßgeschneidert für die Berliner, die sich mit Begeisterung jahrelang wegen eines Projekts anschreien, das sowieso nie verwirklicht wird. Aber nein, das soll keine Anspielung auf einen gewissen Flughafen am Stadtrand sein! Das Schloss wäre viel zu teuer und zu kompliziert, das Vorhaben würde im Sand verlaufen – und siehe da, vor mir zeichneten sich die Mauern vor der schwarzen Nacht ab.

Ich stellte das Auto ab und ging ein paar Schritte zu Fuß. Über das Wochenende war ich in Venedig gewesen. Ich hatte noch die Palazzi vor Augen, die von den Jahrhunderten verwaschenen blassrosa Steine, die Säle mit ihren hohen Decken, die nach Alter, Staub, Feuchtigkeit, Bohnerwachs, Weihrauch rochen, nach Geschichte eben. Nun fand ich mich in der Berliner Nacht vor dieser sterilen Fälschung wieder.

„Und wenn man Versailles in die Luft sprengen würde? Würden Sie dann nicht daran denken, dieses Symbol der französischen Geschichte Stein für Stein wieder aufzubauen?“, fragte mich kürzlich eine Berlinerin. Die Antwort ist mir, wie ich zugeben muss, im Hals stecken geblieben. Ich glaube, dass wir Europäer, die wir aus intakten Städten kommen, die schwärmerische Verehrung für das Stadtschloss nicht begreifen können. Versailles ist nicht zerstört worden. Eine Fassadenauffrischung, einige kleine Reparaturen, aber jeder Stein ist noch an seinem Platz. Unveränderlich. Jedes Mal, wenn ich nach Straßburg zurückkehre und den Turm des Münsters sehe, der den Himmel über der langgezogenen Rheinebene zerreißt, steigen mir die Tränen in die Augen. Während meiner Abwesenheit hat sich nichts verändert, und schon bin ich wieder im Zuhause meiner Kindheit.

Der vergebliche Traum: In einer gewaltigen Zeitmaschine zurückzureisen

Ja, man muss versuchen, sich in die Deutschen hineinzuversetzen: Am Morgen kommt man aus dem Keller und entdeckt, dass seine Straße dem Erdboden gleichgemacht ist und dass das Schloss eine wankende Ruine ist. Ein paar Jahre später wird sie von einem stumpfsinnigen Ideologen in die Luft gesprengt, der jede Erinnerung an Preußen ausradieren will. Ja, daraus speist sich dieser vergebliche Traum: in einer gewaltigen Zeitmaschine zurückzureisen und alles wieder wie vorher aufzubauen. Als wenn nichts gewesen wäre.

Mit Entsetzen betrachten wir die Propagandavideos der IS-Milizen, die mit Hacken und Presslufthämmern die Statuen aus dem Museum und die assyrische Stadt Mossul zerschlagen. Auch hier die Zerstörungswut gegenüber Steinen, die ein anderes Weltbild bezeugen. Indem das Dekor vernichtet wird – oder indem es Stein um Stein wieder aufgebaut wird! – hofft man auf Erlösung. Sprechen wir also über das Stadtschloss! Natürlich kann man eine perfekte optische Täuschung errichten, technische Großtaten vollbringen, einen soliden Finanzierungsplan aufstellen und im Vorübergehen das asbestverseuchte Wrack des Palastes der Republik abreißen, um den Schatten der DDR zu beseitigen. Aber letzten Endes wird man nur eine Schimäre hervorbringen. Die schönste Kopie der Welt wird den Schmerz des Verlustes nicht auslöschen können.

Aus dem Französischen übersetzt von Elisabeth Thielicke.

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