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Kultur: Hummeln am Himmel

Calexico entsagen dem Wüstenrock: Mit ihrem Album „Garden Ruin“ streben sie zum Mainstream

Sie klingen fertig. Traurig, enttäuscht und ausgelaugt. Wie nach einer überlangen Autofahrt, auf der man nichts gesehen hat außer Ödnis, Zwielicht und Verfall. Joey Burns, der Sänger, flüstert sich mit matter Stimme durch einige der Songs, dass man schon meinen könnte, er leide unter Todessehnsucht. Wo sind sie hin, der Schwung und die feine Ironie, die man von Calexico kennt? Wo sind die Mariachis, die Walzer und Polkas? Wo sind die krumpeligen Zwei-Minuten-Stücke, in denen Quetschkommode, Triangel und Trompete durch den Klangverfremder gejagt wurden, während Güterzüge am Horizont vorbeiratterten?

Calexico, die Band aus Tucson, Arizona, mit dem Hybridnamen – California und Mexico vereinen sich, und den Ort, ein Wüstenkaff, gibt es wirklich – vollziehen mit dem neuen Album „Garden Ruin“ eine Trendwende. Es ist der lang erwartete Nachfolger ihrer Erfolgsplatte „Feast Of Wire“ (2003) und der grandiosen, weil völlig undefinierbaren Alben „Hot Rail“ (2000) und „The Black Light“ (1998).

Den ersten Hinweis auf den Wandel gibt schon das gemäldehafte Cover von „Garden Ruin“: Raben werden von den knorrigen Zweigen eines Buschs durchbohrt. Ein Herbstbild. Calexico verabschieden sich von ihrer Erfolgsformel: Wüstenrock, der Filmbilder vom wilden US-Südwesten wachrief und den Mythos gleichzeitig dementierte. Die Band integrierte demonstrativ mexikanische Volksmusik und -musiker. Und in den Texten ging es um Wanderarbeiter aus dem Süden, deren Träume an der militarisierten US-Grenze und einer Gesellschaft „ohne Herz“ zerbrachen.

Gleichzeitig war die typische Calexico-Platte von Sound- und Songexperimenten durchsetzt. Die Band protzte schon fast damit, dass sie Jazz, Surf, Folk, Chanson, Polka und Pop mit unverschämter Leichtigkeit kombinierte.

Nun ist alles anders. Calexico haben elf konventionelle Popstücke aufgenommen, alle in radiotauglicher Länge. Von Eklektizismus keine Spur mehr. „Wir wollten uns nicht wiederholen, etwas Neues machen“, sagt Joey Burns, und es klingt nach der Standardantwort, die Bands nach Stilwechseln immer geben.

Burns hat den ganzen Tag im Schöneberger Büro des kleinen Berliner Labels City-Slang gesessen, das Calexico in Deutschland vertreibt. Er hat Hunderte von Fragen gehört, wirkt müde und seine Antworten bleiben unverbindlich. Er trägt ein kariertes Cowboyhemd mit Metallknöpfen und Jeans. „In den USA sind wir nicht so bekannt wie in Europa“, sagt er. „Hier, in Berlin, liebt man uns. Dort spielt man uns nicht mal im Radio.“ Also habe sich die Band entschieden, eine Platte über Amerika und für Amerika zu machen. „Wir sind mit US-Rock aufgewachsen“, sagt Burns – es klingt fast wie eine Entschuldigung. „Und wir haben all die mexikanischen Melodien und die Einflüsse aus dem Südwesten, die uns vorher inspirierten, zurückgenommen.“

Im Klartext: Die Songschreiber Burns und John Convertino (Schlagzeug), die die Band mit Paul Niehaus, Jacob Valenzuela und den Deutschen Martin Wenk und Volker Zander bilden, wollen endlich mal im US-Mainstreamradio laufen.

Dabei ist ihnen – vor allem wenn man sie an sich selbst misst – nur noch wenig Aufregendes gelungen. Dieses Wenige hat es freilich in sich: Das Liebesflüsterlied „Yours And Mine“ ist an zarter Verwegenheit kaum zu übertreffen. „Letter To A Bowie Knife“, der erste Calexico-Rocker, richtet sich gegen die US-Waffenlobby, und der Song brummt wie tausend Hummeln. Einzige Reminiszenz an die Folk-Vergangenheit ist die Ballade „Roka“, die Burns im Duett mit der spanischen Sängerin Amparo Sanchez singt. Das Leitmotiv der Grenze, die den Kulturraum durchzieht, taucht hier wieder auf.

Höhe- und Schlusspunkt der Platte ist das Anti-Kriegs-Stück „All Systems Red“, das harmlos-harmonisch beginnend in einem nervenzehrenden Inferno endet. „Wenn Du denkst, es könnte nicht mehr schlimmer kommen, dann steigt die Zahl der Toten“, klagt Burns. Er macht wie viele Musiker der alternativen US–Musikszene keinen Hehl mehr daraus, dass er die Politik von US-Präsident George W. Bush für krank hält. Gleich im ersten Stück des Albums, „Cruel“, haucht er: „Die Vögel weigern sich, zu fliegen. Sie trauen dem Himmel nicht mehr.“ Und „sogar der Horizont ist verschwunden, das Wetter ist im Untergrund“.

Joey Burns sagt, dass der Pessimismus des Albums eine generelle Stimmung in den USA widerspiegele. „Denn eigentlich bin ich ein positiver Typ“, erklärt er. Und gähnt. Vielleicht ist es das: Calexico brauchen erst mal Urlaub in Mexiko, um wieder zur Spielfreude und Magie früherer Tage zurückzufinden.

Calexico: Garden Ruin (City Slang). Die Band spielt am 4. Mai in der Berliner Columbiahalle.

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