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Die etwas anderen Intelligenzforscher: Autor Wladimir Kaminer (l.) und Kabarettist Arnulf Rating.

© Mike Wolff

Integration: Humor gegen Sarrazin: "Die Debatte braucht einen Tritt"

14 Kabarettisten und Autoren haben ein Hörbuch aufgenommen. Ein Gespräch mit Wladimir Kaminer und Arnulf Rating über ihr Erschrecken über die positive Resonanz auf Sarrazins Buch und über Deutschland als Humorentwicklungsland.

„Der Bundesdenker und die Kopftuchmädchen. Entwirrungen zu Thilo Sarrazin“ lautet der Titel ihres Hörbuches. Was muss entwirrt werden?

ARNULF RATING: Sein Buch ist ein Symptom der Krise. Ich habe mich zunächst geweigert, es zu lesen, weil ich ihn nicht unterstützen wollte. Doch dann hat mich sein Erfolg so erschrocken, dass ich genau wissen wollte, was die Leser anspricht. Erfahrungsgemäß haben es Menschen in der Krise gerne, einen Feind im Inneren zu finden, ob er Schuld hat oder nicht. Die Sehnsucht nach solcher Argumentation ist derzeit groß. Es ist der Ausdruck eines unreflektierten Volksempfindens. Und das ist auch die Gefahr.

WLADIMIR KAMINER: Ich glaube durchaus, dass sich Sarrazin Sorgen um sein Land macht. Sein Buch habe ich nicht gelesen. Doch wie Herr Rating war auch ich über die positive Resonanz schockiert. Als Teil der politischen Elite sucht Sarrazin die Begründung allen Übels beim schwachen Teil der Gesellschaft – banal.

Was hat Sie denn an der Reaktion auf sein Buch am meisten gestört?

RATING: Wenn Deutschland sich abschafft, dann bin ich als Vater dreier Kinder auch davon betroffen. Doch ich frage mich, was das mit Intelligenz zu tun haben soll? Herr Kaminer hat es in seinem Beitrag wunderbar auf den Punkt gebracht. Nämlich, dass der sarrazinsche Leistungsbegriff ein technischer ist. Menschen können nicht einfach nach ihrem ökonomischen Nutzen aussortiert werden. Es ist abstrus, wenn Angela Merkel im Herbst eineinhalb Monate nach dem Erscheinen von Sarrazins Buch „multikulti“ für gescheitert erklärt und sich dann beim deutschen, türkischstämmigen Fußballer Mesut Özil in der Garderobe bedankt.

Nach Sarrazin ist Intelligenz zu 50 bis 80 Prozent erblich. Lässt sie sich messen?

KAMINER: Er denkt, dass Intelligenz sich darin zeigt, dass Menschen ein Gedicht aufsagen können oder ins Theater gehen. Wahre Intelligenz beruht aber vor allem darauf, dass man die Existenz des fremden Anderen akzeptiert und anerkennt, dass Menschen nicht gleich sind und auch nicht immer das Gleiche wollen. Das bezieht sich auch auf den Aspekt Erfolg.

RATING: Schauen wir uns nur Ost- und Westdeutschland an. Durch die Deindustrialisierung des Ostens gingen die Menschen nach dem Mauerfall in die Entwicklungsabteilungen des Westens. Kein Wunder, dass dort heute die Experten sitzen. Es hängt mit der Wirtschaftsstruktur zusammen und nicht damit, dass Brandenburg für immer dumm bleiben muss. Auch blendet Sarrazin die Faktoren kultureller Befruchtung vollkommen aus und da wird es dumpf. Was wären wir ohne die griechische Philosophie und ägyptische Kultur? Auf die Frage, ob Intelligenz erblich ist, hat Dieter Hildebrandt in seinem Beitrag eine klare Antwort: Die Kinder von Franz Josef Strauß warten immer noch darauf, dass ihnen die Intelligenz ihres Vaters vererbt wird.

KAMINER: Eigentlich hatte ich geglaubt, dass sich Deutschland längst über die Sarrazin-Thesen hinaus entwickelt hat. Ich hoffe, dass dies nur ein Hänger ist und man der Debatte nur einen Tritt zu geben braucht.

Kann Humor einer dieser Tritte sein?

RATING: Ja, auf jeden Fall. Deutschland ist ein Humorentwicklungsland. Wenn in Deutschland alle gelacht hätten, als die kleinen dunkelhaarigen Hitler, Goebbels und Göring erklärten, dass die großen blonden Menschen die führende Rasse seien, dann wäre der Menschheit vieles erspart geblieben. Insofern halte ich Humor für eine wichtige Waffe, um sich gegen eine Person und die Einstellungen wie die Sarrazins in Stellung zu bringen.

KAMINER: Es stimmt, wenn wir Sarrazin nur ernst und tragisch betrachten, dann ist das eine Sackgasse.

Herr Kaminer, Ihre Hörbücher erscheinen im gleichen Verlag wie das von Herr Sarrazin. Ihr gemeinsamer Verleger von Random House Audio, Karl Heinz Pütz, sagt über Sarrazins Werk: „Es ist ein polarisierendes, Menschen herabsetzendes, in Teilen oft rassistisches Pamphlet.“

KAMINER: Ja, Pütz ist ein Linker und gleichzeitig ein großer Geschäftsmann. Um diesen Spagat zu halten, muss der Körper besonders elastisch sein. So hatte er eigentlich die Idee, Sarrazins Buch von prominenten Migranten einsprechen zu lassen. Ich sollte da auch mitmachen und hatte schon zugesagt. Sarrazin und seine Anwälte hatten aber etwas dagegen. So kam die Idee zum Gegenhörbuch auf.

Der Erlös geht dem Verein „Coach“ zu, der junge Familien mit Zuwanderungsgeschichte fördert.

RATING: Ja, wieder ein Zwiespalt. Ein Verlag des Hauses Bertelsmann liefert Buch und Gegenantwort gemeinsam: Der eine verdient daran, die anderen spenden. Irgendwie absurd. Aber die Hauptsache ist, dass wir die Debatte umdrehen.

Das Gespräch führte Hadija Haruna. „Der Bundesdenker und die Kopftuchmädchen: Entwirrungen zu Thilo Sarrazin“, herausgegeben von Heinrich Pachel, Random House Audio

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