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Verkaufsstart: Ansturm auf iPad in USA

© dpa

Hype um Tablet-PC: Der Apfel und sein Stamm: iPad-Fieber in Amerika?

Zwischen Hysterie und Realitätssinn: Amerika in den ersten Tagen mit dem iPad – Erfahrungen aus der Hauptstadt Washington von unserem USA-Korrespondenten Christoph von Marschall.

Pete im Nachbarhaus hat das Gerät noch nicht. Michael auf der gegenüberliegenden Straßenseite ebenso wenig. Beide kennen auch niemanden, der bereits ein iPad besitzt. Oder die Absicht hätte, sich rasch eines zu kaufen. Von den Massen, die vor einer Woche, am Ostersamstag, in ganz Amerika die Apple-Stores belagert haben sollen, haben sie nur durchs Fernsehen erfahren und in der Zeitung gelesen. Für Laura gilt nicht mal das. Sie kann mit dem Wort iPad wenig anfangen. Aber Laura ist ja auch schwanger mit dem vierten Kind. Da hat man andere Prioritäten.

In dieser braven Wohngegend im Nordwesten von Washington mit ihren kleinen Einfamilienhäuschen und artig getrimmten Vorgärtchen lesen die meisten Menschen die Nachrichten noch in der altmodischen Form: schwarz auf weiß gedruckt auf Zeitungspapier. Es ist das typische Geräusch, mit dem der Tag beginnt, nachdem die Temperaturen wieder so weit gestiegen sind, dass man bei offenem Fenster schlafen kann: das helle Ploppen, das erst immer näher rückt und sich dann wieder in der Ferne verliert, wenn die in Plastikschutzhüllen verpackten Zeitungen von den fahrenden Austrägern frühmorgens aus dem Autofenster geworfen werden und auf den Platten der Gehwege zu den Haustüren aufschlagen. Filme schauen die Familien, die hier wohnen, im Fernsehen oder via DVD-Player oder im Kino.

Amerika sei im iPad-Fieber, verkünden die Medien. Ganz Amerika? Wenn sich die Zugehörigkeit zu den USA tatsächlich am iPad bemäße, wäre das Land jetzt auf wenige Bevölkerungsinseln zusammengeschrumpft. Nach fünf Tagen hat Apple 450.000 Geräte verkauft, das ist einerseits beachtlich – und entspricht doch andererseits nur 1,5 Promille der Bevölkerungszahl. Doch die aufschneiderischen Formulierungen haben auch einen patriotischen Effekt. Sie machen das Ausland neidisch. In Deutschland kommt das Wunderding erst Ende des Monats auf den Markt.

Bei genauerem Hinsehen scheint sich der Hype, der angeblich die gesamten USA erfasst hat, auf relativ überschaubare Gruppen zu beschränken, die sich freilich überdurchschnittliches Gehör zu verschaffen verstehen. In unserer Straße bekennt sich nur Max, Petes Sohn, zum iPad-Fieber. Er ist in dem Alter, wo jede technische Neuerung cool erscheint. Der Umstand, dass das Taschengeld eines Dreizehnjährigen und seiner Freunde sowieso nicht für die Anschaffung eines iPads (und die dann folgenden Kosten für die Anwendungen) reicht, erhöht das Begehren im Zweifel noch.

Unter professionellen IT-Nutzern im Herzen der Hauptstadt ist noch kein Run auf das neue flache Gerät zu bemerken. Kein White-House-Korrespondent hat in den ersten Tagen nach Verkaufsstart ein iPad in den Briefing Room mitgebracht. Während Präsidentensprecher Robert Gibbs, wie üblich, in watteweichen, wortreichen Formulierungen den Fragen mehr ausweicht, als sie zu beantworten, sitzen die Inhaber der 49 festen Sitzplätze wie gewohnt mit ihren Laptops auf den Knien, surfen im Netz und hacken in die Tastaturen. Ein 680 Gramm leichtes iPad ließe sich vermutlich weit komfortabler balancieren. Aber in diesen Kreisen sind Mensch und (herkömmliche) Maschine offenbar zu fest miteinander verwachsen; das steht einer raschen Neuorientierung entgegen.

Ihren Kolleginnen und Kollegen in den Technik- und Medienredaktionen hingegen gehen die Superlative leicht von der Hand oder aus dem Mund: „Ganz Amerika ...“, „landesweiter Run auf ...“, „die USA in iPad-Hysterie“. Im Gegensatz zu anderen Firmen habe Apple nicht Kunden, sondern eine Fangemeinde, heißt es dann gerne. Angeblich verfolgt die halbe Welt solche technischen Premieren. Auch beim iPad handelt es sich wohl tatsächlich um eine Massenbewegung, die freilich überhaupt erst mithilfe des Hypes der Medien in Gang gesetzt wurde. Dazu gehören Geschichten von Liebe und Hass, von durchwachten Nächten vor dem Ladeneingang, um zu den ersten stolzen Besitzern zu gehören – und von Zyniker, die sich das iPad nur kaufen, um es in Belastungstest zu zerstören, deren Sinn sich schlichteren Gemütern entzieht. Es kursieren bereits Berichte, wie lange das Gerät der Behandlung in einem Küchenmixer standhält.

Das Wort von der Massenbegeisterung stimmt wohl, wenn man die Bezugsgruppe etwas enger definiert als „ganz Amerika“. Bekannte in Washington berichten von ihren Bekannten in New York, zum Beispiel, dass in deren sozialem Umfeld das Interesse am iPad die Regel und nicht die Ausnahme sei: noch relativ junge, hoch gebildete und gut verdienende Fachleute, eher Singles als Familienväter oder -mütter, und im Zweifel eher Bewohner von Apartmentblocks als von Einfamilienhäusern. Diese Zirkel gibt es in jeder größeren amerikanischen Stadt; in Washington würde man rund um den Capitol Hill, in der Umgebung des Dupont Circle, der Think Tanks und in der Nähe der Universitäten fündig.

300.000 Geräte hat Hersteller Apple nach eigenen Angaben am ersten Verkaufstag abgesetzt – und damit den Starterfolg des iPhones (270.000 nach zwei Verkaufstagen) mehr als verdoppelt. Freilich sind darin die Vorbestellungen enthalten. Nach zwölf Monaten will Apple fünf Millionen iPads verkauft haben, freilich hat bis dahin auch der Verkauf im Ausland begonnen. Selbst wenn fünf Millionen in den USA blieben, käme ein Gerät auf 1,7 Prozent der Bevölkerung. Das wäre zwar immer noch weit entfernt von „ganz Amerika“. Aber das Gegenteil – dass nämlich ganz Amerika gleichgültig gegenüber dem iPad sei – wird man dann gewiss nicht mehr behaupten dürfen.

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