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Kultur: Hysteriker unter sich

In der Realität hat die Hitze keine besonders stimulierende Wirkung. Der mitteleuropäische Großstädter erleidet eher einen Kreislaufkollaps, als dass er sich zu Gewalt und Leidenschaft hinreißen ließe.

In der Realität hat die Hitze keine besonders stimulierende Wirkung. Der mitteleuropäische Großstädter erleidet eher einen Kreislaufkollaps, als dass er sich zu Gewalt und Leidenschaft hinreißen ließe. Das Schöne am Kino ist, dass Filmfiguren nicht so schnell zusammenbrechen. Sie kommen, wenn die Kleidung am Körper klebt, erst so richtig in Fahrt. Dank ihrer Kondition können sie sich zwei Stunden lang die Seele aus dem Leib schreien wie Romy Schneider in Nachtblende (1975), einem durchgeknallten Melodram von Andrzej Zulawski, das die ganze Woche hindurch im Xenon läuft. Für eine Schauspielerin, die sich in Frankreich niedergelassen hat, war Romys Filmografie insgesamt eher enttäuschend: Man denke nur an die aufregenden Regisseure, die bei Jeanne Moreau, Catherine Deneuve oder Isabelle Huppert Schlange standen. Aber mit dem Exilpolen Zulawski hat sie das große Los gezogen. Er konfrontierte sie mit ihren eigenen Komplexen und ließ sie eine hochbegabte, aber technisch unsichere Schauspielerin verkörpern, die den Anforderungen einer Klassikerinszenierung nicht gewachsen ist. Ausgerechnet Klaus Kinski ist als erfahrener, einfühlsamer Kollege zu sehen, der sie nach den anstrengenden Proben tröstet. Zwischendurch finden freudlose Orgien statt. Bei einer Umfrage nach dem hysterischsten Film aller Zeiten hätte „Nachtblende“ gute Chancen auf den ersten Platz.

Eine Wahnsinnstat stand am Ende der Karriere von Sergej Eisenstein. Im April 1943 begann er mit den Dreharbeiten zu einem zweiteiligen Historienfilm, mit dessen üppiger Ausstattung selbst der Klassenfeind in Hollywood nicht konkurrieren konnte. Die Eisenstein-Forschung ist sich bis heute nicht darüber einig, ob Iwan der Schreckliche ein Hohelied auf den Tyrannen oder eine Abrechnung sein sollte. Stalin jedenfalls war dermaßen verunsichert, dass er den zweiten Teil (heute und Sonntag im Arsenal) verbieten ließ. Aus heutiger Sicht ist das Wagnis des Films nicht die expressionistische Überzeichnung der Hauptfigur, auch nicht das Musical-Finale in Sovcolor, sondern das Budget: deftige Mahlzeiten, bodenlange Pelze für jeden Komparsen – was mag der hungernde, frierende Sowjetbürger dabei gedacht haben?

Es liegt nahe, Verschwendungssucht zu verurteilen und soziales Engagement zu bewundern. Aber Roberto Rossellini hat erkannt, dass auch Altruismus ein Ausdruck von Wahnsinn sein kann. In Europa 51 (1952) demaskierte er gnadenlos das, was wir heute Gutmenschentum nennen. Ingrid Bergman verkörperte eine reiche Amerikanerin in Rom, die nach dem Tod ihres Sohnes das Partyleben aufgibt und sich nur noch um die Armen und Kranken kümmert. Sie tut des Guten zu viel und wird von ihrem Ehemann in die Psychiatrie eingewiesen (Montag und Dienstag im Filmmuseum Potsdam).

Zur Abwechslung frische Luft gefällig? Dieses Bedürfnis verspürte vor 80 Jahren Arnold Fanck, als er mit dem TrenkerLuis, der Riefenstahl-Leni und einem kleinen Kamerateam durch die Alpen kraxelte und mit sensationellen Aufnahmen zurückkehrte. Der heilige Berg wird am Sonnabend als Open-Air-Stummfilmkonzert präsentiert (21.45 Uhr im Beachgarden in den U-Bahnbögen, Pohlstraße 11, Tiergarten). Man kann nur hoffen, dass das Wetter nicht verrücktspielt.

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