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Kultur: "Ich bin ein Texaner"

"Wow!" Auf diesen gleichermaßen bewundernden wie hilflosen Ausruf reduzierte sich die erste Reaktion des Rezensenten der "New York Times", der offenbar nicht recht wußte, was er von Robert Wilsons "The Days Before" halten sollte.

"Wow!" Auf diesen gleichermaßen bewundernden wie hilflosen Ausruf reduzierte sich die erste Reaktion des Rezensenten der "New York Times", der offenbar nicht recht wußte, was er von Robert Wilsons "The Days Before" halten sollte. Wilson, in Europa populärer als in seinem Heimatland, polarisiert - auch sein New Yorker Publikum. Mit Jubel aus den Reihen der Fan-Gemeinde und irritiertem Klatschen im Parkett wurde die Weltpremiere des letzten Teils der "Death Destruction and Detroit"-Trilogie bedacht, die den Auftakt zum diesjährigen Lincoln Center Festival bildete. Einigen der berüchtigten New Yorker Theaterschläfer stand Ratlosigkeit ins Gesicht geschrieben: ist es Schönheit, Kitsch, Tiefsinn oder Oberflächlichkeit, was Wilson uns da präsentiert? Die gespaltenen Reaktionen entsprechen einer Produktion, die von Gegensätzlichkeiten geprägt ist. Wilson, der wie üblich eine intellektuelle Deutung seiner Arbeit verweigert, rechnet vor: "Wir haben zwei Hälften, die Teile eines Ganzen sind. Eins plus eins ist zwei, aber eigentlich ist zwei hier eins." Gemeint ist das strenge Strukturprinzip, von dem "The Days Before" ebenso geprägt ist wie seine Vorläufer, die ersten Teile der "DD & D"-Serie, die er 1979 und 1987 an der Berliner Schaubühne inszenierte. Anders als bei diesen hat Wilson jedoch die ursprüngliche Länge der Produktion von über vier Stunden auf 100 Minuten verkürzt - wohl in Anbetracht der Tatsache, daß das New Yorker Publikum kurze Einakter liebt.Die zwölf Szenen, die sich spiegelbildlich aufeinander beziehen - Szene 1 zu Szene 12 und so fort -, sind in zwei Sektionen unterteilt. Und ebensowenig wie der erste Teil der Trilogie ein Stück über Rudolf Hess war oder der zweite Kafkas Leben behandelte, ist die neue Produktion eine Adaption des Romans "Die Insel des vorigen Tages" von Umberto Eco. Vielmehr bilden die extrahierten Textfragmente, die von der irischen Schauspielerin Fiona Shaw sowie von Isabella Rossellini, Tony Randall und Jeremy Geidt auf der Bühne gelesen werden, einen Rahmen für apokalyptische Visionen, die Wilson in gewohnt ästhetisierter Manier inszeniert. Ecos Erzählung beschreibt die Suche eines Schiffsreisenden nach dem Meridian, an dem Gestern und Morgen aufeinandertreffen. Als sprachliches Rohmaterial - eine Interpretation liegt nicht in Wilsons Absicht - dient eine eklektische Textsammlung: sie reicht von einem Gedicht des geistig behinderten Christopher Knowles, mit dem Wilson mehrfach zusammengearbeitet hat, bis zum "Moby Dick"-Epilog; von einer Szene aus Ingmar Bergmans "Das siebte Siegel" bis zu einem Exzerpt aus "Der Fänger im Roggen". Salman Rushdie, der ebenfalls als Textlieferant dienen sollte, zog sich aus dem Projekt zurück.Die erwähnte infantile Reaktion überrascht nicht als Beurteilung eines Werkes, das - seiner endzeitlichen Bildersymbolik zum Trotz - viel märchenhaften Glanz besitzt. Wilsons Apokalypse ist in ihrer perfekten Stilisierung attraktiver und geordneter als die Bilder von Chaos und Zerstörung, die sich manch anderer davon machen mag. Er präsentiert den Weltuntergang als eine Folge metaphorischer, mythologischer, banaler Illustrationen der Antagonismen Geburt und Tod, Sommer und Winter, Stadt und Land, Himmel und Hölle. Die Gegensätzlichkeit wird personifiziert durch Hahn und Eule; das Leitmotiv der Schiffsreise findet sich in Videoprojektionen von Meereswellen.In "The Days Before" zieht Wilson wie gewohnt die sinnliche Erfahrung der Kohärenz einer stringenten Handlung vor. Inhalt und Logik - sofern man ihnen nachspüren wollte - treten in den Hintergrund; die Worte wurden der Produktion erst in ihrer letzten Entstehungsphase zugesellt. Wilson wird mit "DDD III" erneut seinem Ruf als Meister von Form und Farbe gerecht. Nach Jahren der Ensemblearbeit und des Repertoiretheaters kehre er, wie er sagt, mit dieser Originalproduktion, die ein Resultat mehrerer Jahre des Experimentierens in Wilsons Watermill Center auf Long Island ist, zu seinen Anfängen zurück. Die (alp)traumhaften Kostüme von Jacques Reynaud, die sphärische Musik von Ryuichi Sakamoto (teilweise mit brutalen metallischen Klängen und Discobeats kontrastiert), die präzise Choreographie von Suzushi Hanayagi und nicht zuletzt das berühmte Wilson-Licht und -Bühnendesign schaffen eine surreale Wunderwelt. Inmitten des bizarren Ideenlabyrinths erscheint lediglich die hochstilisierte Darstellung des Mordes an der Zarenfamilie deplaziert. Der Reiz des Gegensätzlichen übrigens hatte Wilson erst auf die Idee der Zusammenarbeit mit Umberto Eco gebracht. "Er ist ein Intellektueller", sagt Wilson über Eco, "und ich bin ein Texaner."

VIOLA LESEP

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