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Kultur: „Ich bin gern in meiner Gesellschaft“

Wer eine Kamera hat, muss sich nicht einsam fühlen: Für den Fotografen Elliott Erwitt funktioniert sie als Schmusedecke

Warum weiß niemand, dass Magnum-Fotografen auch Filme gedreht haben?

Vielleicht, weil wir die Filme zuerst für uns selbst gemacht haben, wie alles, was wir bei Magnum tun. Die meisten waren auch privat finanziert. Für mich gilt: Die ersten Filme habe ich nur für mich gemacht, weil mich das Filmen interessiert hat. Dann kamen 18 kommerzielle Comedies für den Kabelkanal HBO. Die Serie hieß: „The Great Pleasure Hunts“, es ging um die Jagd nach Vergnügen, um Leute, die auf bescheuerte Art Geld ausgeben. Einmal haben wir ein Essen gezeigt, das mit einer Vorspeise in Frankreich begann und mit einem Dessert in Japan endete.

Ihr Film, der morgen läuft, „Beauty Knows No Pain“, ist nur 26 Minuten lang.

Es war mein erster Versuch, eine Geschichte zu erzählen mit einem Anfang, einer Mitte und einem Ende. Und in den Siebzigern war Filmen viel teurer. Kurz nach der Ermordung von Präsident Kennedy stieß ich in Kilgore, Texas, auf ein Junior College, das sich darauf spezialisiert hat, Cheerleader auszubilden. Sie haben ein mörderisches Auswahlverfahren, das wollte ich filmen, ganz allein mit meinem Tonmenschen und mit eigenem Geld.

Sie fotografieren, seit Sie 15 sind, Sie sind seit 1953 bei Magnum. Warum sollte plötzlich ein Film besser sein als Fotos?

Es ging um Tanz, Bewegung und Gesänge. Ein Film schien mir angemessener.

Fotografen beharren doch immer darauf, dass auch ein gutes Foto ein Destillat der Realität liefern kann.

Ja, das ist das Wesen der Fotografie.

Wenn jemand also so an die Kraft des Einzelbilds glaubt: Bedeutet nicht im Film dann jedes neue Bild eine Entwertung des vorangegangenen?

Film bedeutet ja nicht nur, dass ein Bild dem nächsten folgt. Filme und Fotos sind komplett verschieden. Die einzige Ähnlichkeit besteht in der Bildkomposition. Zusätzlich gibt es den Rhythmus, den speziellen Ablauf, die Schnitte. Film hat meine Fotografie ja auch nicht ersetzt.

Was halten Sie für die schwerere Kunst?

Eine Hierarchie der Künste ist lächerlich. Auch sich selbst als Produzent von Kunst zu begreifen ist lächerlich. Ich fotografiere, oder ich mache Filme.

Sie sind berühmt dafür, im Alltag Humor zu entdecken. Scheinbar zufällig scheinen Gegenstände etwas über die Menschen zu sagen und umgekehrt. Wann haben Sie sich entschieden, die Welt als eine Komödie und nicht als eine Tragödie zu sehen?

Die Komödie als menschliche Verfassung ist ja sehr nah an ihrem Gegenteil. Das Traurige ist darin schon enthalten.

Sie haben häufig dort die besten Bilder gefunden, wo Sie nichts zu suchen hatten: 1959, als Sie auf einer Moskauer Küchenausstellung Nixon dabei beobachtet haben, wie er Chruschtschow empört seinen Zeigefinger auf die Brust setzt.

Ich war zu einem ganz anderen Zweck angereist: Es war ein Auftrag, ich sollte Kühlschränke fotografieren. Irgendwann kamen die beiden vorbei, und ich habe abgedrückt. Man geht ja nicht los, mit dem Gedanken an ein großartiges Bild.

Aber dort hinten liegt die Leica auf Ihrer Jacke. Sieht aus, als hoffen Sie noch.

Kennen Sie diese Schmusedecken, die Kinder mit sich herumschleppen? Diese Funktion hat die Kamera für mich. Für einen Erwachsenen ist so eine Decke ziemlich peinlich, aber mit der Kamera stellt niemand Fragen.

Wonach suchen Sie?

Ich suche nicht nach Dingen, ich reagiere auf sie. Aber die Magie eines Bildes spürt man manchmal erst spät: Gerade sehe ich mein Archiv durch für ein Buch, das im Herbst herauskommt, Arbeitstitel „This and that“, „Dies und Das“.

Ein anderes Buch haben Sie beiläufig „Snaps“ genannt. Ich kenne Fotografen, die wären beleidigt, wenn man ihre Bilder als Schnappschüsse bezeichnete.

Unser Problem ist, dass Fotografieren so einfach ist. Ein Schimpanse kann heute ein Bild machen, das für ein Hardcover taugt. Also müssen die Fotografen der Fotografie ständig Bedeutung verleihen.

Aber die Bedeutung liegt immer noch im Bild. Nicht im Verhalten des Fotografen.

Ja, und es gibt jede Menge Fotografen mit schlechtem Benehmen. Im Idealfall ist er eine Fliege an der Wand, ein Voyeur, kein Teil des Bildes.

Lassen Sie sich überraschen von dem fotografischen Erfolg eines Tages?

Ich bin 79 Jahre alt, im Moment bin ich eher damit beschäftigt, meine alten Bilder zu verwalten. Aber im März bin ich für zweieinhalb Wochen in Südkorea, da gilt wieder die totale Konzentration auf das Fotografieren.

Hat das Fotografieren Sie jemals enttäuscht?

Ich habe nie was anderes gemacht. Vermutlich ist es zu spät, um Ballettänzer zu werden.

Aber manchmal fragt man sich …

Nein. Tut man nicht.

Was zieht Sie an?

Ausschließlich Situationen. Es macht keinen Unterschied, ob die Leute bekannt oder unbekannt sind. Ich rede auch nie mit ihnen. Eine gute Sache bei meinen ganzen Hundefotos ist zum Beispiel, dass Hunde keine Fragen stellen und nachher auch keine Abzüge wollen.

Aber der Fotograf ist dann sehr einsam ...

Ich bin ganz gern in meiner Gesellschaft. Ich komme gut mit mir klar. Aber es stimmt, Fotografen sind nicht gut in Familiengeschichten, und ich glaube, Reisen ist Teil des Problems.

Über den Kriegsfotografen James Nachtwey erzählt man sich, er habe die Fähigkeit eingebüßt, ein normales Leben außerhalb des Krieges zu führen. Ein Teil seines Charakters ging verloren.

Nun, das setzt ja voraus, dass eine gewisse Art Charakter vorher da war. Das allein ist eine ziemlich waghalsige Vermutung. Er ist kein Durchschnittsmensch, man kann also auch keine Durchschnittswahrheiten bei ihm anbringen. Robert Capa, auch ein großer Kriegsfotograf, und sicher wichtiger als er, war 100 Prozent anders: gefühlvoll, warmherzig – alles das, was Nachtwey nicht ist. Also wo sind hier die Regeln?

Das Gespräch führte Deike Diening.

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