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Kultur: Ich bin schwanger - ein wunderbar beiläufiges Debüt

Das Bild der Schwangerschaft ist ein Klischee: Leichtbekleidet sitzt eine Frau im Schaukelstuhl, die Füße stecken womöglich in Wollsocken. Eine Hand ruht auf dem dicken Bauch, ihr Blick ist zärtlich nach unten gerichtet.

Das Bild der Schwangerschaft ist ein Klischee: Leichtbekleidet sitzt eine Frau im Schaukelstuhl, die Füße stecken womöglich in Wollsocken. Eine Hand ruht auf dem dicken Bauch, ihr Blick ist zärtlich nach unten gerichtet. Neben ihr steht ein Mann im karierten Hemd, auch er schaut erwartungsvoll und freudig. Der Raum ist in Pastelltönen gehalten, durch das Fenster scheint die Sonne, ein Weichzeichner über der Linse tut das Übrige. So und nur so sieht es aus, in der umfangreichen Ratgeberliteratur, in den Frauen-, Eltern- und Apothekenzeitschriften. Andere Orte, andere Bilder gibt es kaum.

Deshalb wirkt Marie Vermillards Erstlingsfilm "Lila Lili" wie ein Befreiungsschlag, er berichtet unsentimental von der Schwangerschaft einer jungen Frau, die er zunächst nicht einmal thematisiert. Als Passantin nimmt er Micheline ins Bild, sie überquert eine Straße, wartet auf den Bus und beobachtet vielleicht eine Spur zu lang die spielenden Kinder. Auch beim Handballtraining belässt es Vermillard bei Andeutungen, Micheline sitzt auf der Zuschauertribüne, eine Frau fragt: "Und Sie, Sie sind verletzt?"

Schwangerschaft als Ausnahmezustand. Schwangerschaft als Krankheit. So beiläufig wie seine Heldin nimmt "Lila Lili" gängige Klischees ins Bild, um sich jenseits davon zu entwickeln. Ein Schauplatz ist das Heim für ledige Mütter, in dem auch Micheline wohnt, doch anstatt sozialkritisch die Zustände dort ins Visier zu nehmen, interessiert sich der Film für die Personen, die dort leben. Ihrer Notsituation zum Trotz zeigt er weder die Frauen noch die Kinder als Opfer, sondern als lebenshungrige Individuen. Die so selbst- wie verantwortungsbewusste Micheline konterkariert er mit der anlehnungsbedürftigen Nadège, die schon zwei Kinder hat. Um dieses ungleiche Paar gruppiert er zahlreiche Mitbewohnerinnen, ihre Probleme und ihre Lebensäußerungen, gelegentlich schauen auch Väter und andere, die es noch werden sollen, vorbei.

"Lila Lili" ist ein Film ohne stringente Erzählhandlung, die Dinge geschehen ohne Kausalkette. Gleichwohl gibt es elliptische Bezüge, wie den zwischen der Schwangerschaft und dem nahen Tod der Großmutter, die Micheline immer wieder im Krankenhaus besuchen wird. Ein Heim für alleinstehende Mütter, eine geriatrische Klinik - so löst die Gesellschaft die Dysfunktionalität des Modells "Familie" am Ende des 20. Jahrhunderts. Doch selten gibt sich der Film politisch so streng und ernst - er hält nichts von Positionen, löst prekäre Situationen oft in einem Lachen auf. So etwa, wenn Claude seine Patenschaft für Nadèges Kinder noch einmal überdenkt: "Ja dann werden wir wohl zusammenziehen müssen," entgegnet ihm die Co-Patin Micheline übermütig, und man freut sich fast über sein entsetztes Gesicht. "Lila Lili" ist ein empathischer Film, der auf Augenhöhe seiner Charaktere bleibt, der Körper beobachtet, anstatt etwas über Personen zu wissen. Ein schönes, ein wichtiges Debüt.fsk am Oranienplatz (OmU)

Veronika Rall

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