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Kultur: Ich bin viele

LIEDERABEND

Wohl wahr, denkt die Zuhörerin, als Katharina Kammerloher mit Schuberts „Gretchen am Spinnrade“ gesteht, ihre Ruhe sei dahin. Die Mezzosopranistin vom Ensemble der Staatsoper – man kennt sie als Dorabella aus Doris Dörries „Cosí fan tutte“ oder zuletzt in der Hosenrolle des Komponisten in Strauss’ „Ariadne auf Naxos“ – ist ein Unruhegeist: feinnervig, kapriziös. Ihr Gesang verrät etwas vom Ursprung der Musik aus der Panik, zumindest der Nervosität. Kein Zufall jedenfalls, dass sie ihren Liederabend im Apollo-Saal mit Franz Schuberts „Rastloser Liebe“ eröffnet. Und dass sie, nach anfangs tatsächlich schwankender Intonation, ein Spiel daraus macht: aus der Erregung, der Verstörung, dem Rollenwechsel. Schuberts Faust-Szene zum Beispiel: Ich bin viele oder Die Sängerin als One-WomanShow. Der böse Geist droht und flirtet, das arme Gretchen hyperventiliert, und der „Dies irae“-Chor mahnt mit eherner Stimme. Jeder Ton große Oper. Und Burkhard Kehring assistiert am Flügel beherzt und behände: Wankelmut als hohe, das Risiko nicht scheuende Kunst.

Ein irrlichternder Schubert: Das Fahle, Depressive ist Kammerlohers Sache nicht. Arnold Schönbergs George-Vertonungen zum „Buch der hängenden Gärten“ liegen ihr mehr. Nun also erst recht: blitzschnelle Stimmungswechsel, bizarre Seelenlandschaften, gleißendes Naturtheater, Miniaturdramen im Sekundentakt. In den schönsten Momenten inszeniert Kammerloher ihre eigene Stimme so, als ob sie permanent darüber staunt. Und die Süssmayr-Arie vom betörenden Knie der Liebsten samt „Bumm Bumm“ schlagendem Herzen als Zugabe beweist: In einer guten Sängerin steckt immer auch eine Komödiantin.

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