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Kultur: „Ich habe auch schon mal geschrien“

Herr Mey, Ihre neue CD heißt „Rüm Hart“. Was sagt uns das?

Herr Mey, Ihre neue CD heißt „Rüm Hart“. Was sagt uns das?

Das ist Friesisch und bedeutet großes Herz. Im übertragenen Sinne bedeutet es weiter Horizont. Ich habe es immer vermieden, einen Titel besonders hervorzuheben, indem ich auch die CD so nenne. Diesmal musste es sein. Außerdem fand ich das Wortspiel ganz hübsch: rüm hart – Reinhard. Die CD sollte erst Rüm Reinhard Mey heißen. Aber der Grafiker hatte etwas dagegen.

Also dann: hallo Rüm Hart!

Ich hätte nichts dagegen. Weil ich wünschte, ein großes Herz zu haben.

Auf der CD beschäftigen Sie sich mit Themen wie Kindesmissbrauch und Ausländerhass. Werden Sie reiner, kompromissloser?

Das wäre mein Ziel. Ich habe mich immer bemüht, besser, klarer und reiner zu werden. Vieles war schon immer in mir drin. Aber vielleicht werde ich mit dem Alter mutiger und entschlossener.

Reinhard Mey, ein ungeduldiger Radikaler?

Ein Ungeduldiger ganz sicher. Die Zeit wird knapp, und wenn ich noch all das sagen will, was ich zu sagen habe, dann muss ich das jetzt tun. Ich kann nichts mehr auf die lange Bank schieben. Wenn ich zum Beispiel einen Leserbrief schreiben will und zögere, dann sagt meine Frau, wenn du es heute nicht tust, dann vielleicht nie. Für mich ist es wichtig, mir diesen Groll von der Seele genommen zu haben. Und so geht es mir auch mit meinen Liedern.

Ist Ihnen die Welt mit Ihren Problemen zu nahe auf die Pelle gerückt?

Es ist mir oft vorgeworfen worden, ich lebte in einer Idylle, ich wäre der Propagandist einer heilen Welt. Das ist der reine Unsinn. Mit diesem Klischee muss ich leben, aber wahrer wird es davon nicht. Schon durch meine Familie bin ich an vielem ganz nah dran. Ich und ein Heile-Welt-Apostel? Jeder, der eine meiner Platten von vorne bis hinten gehört hat, weiß es besser. Man müsste doch mit absoluter Blindheit geschlagen sein, wenn man immer nur eine heile Welt sehen wollte.

Aber sind Sie nicht ein großer Träumer? Der daran leidet, dass die Welt nicht so ist, wie sie sein sollte?

Träumer – nein. Ich bin ein absoluter Realist. Und wenn ich manchmal träume, dann sind das Alpträume.

Sie verpacken gern. Warum sagen Sie nicht, wie es ist?

Es mag sein, dass ich zur Diplomatie neige. Aber ich tue Menschen nur sehr ungern weh. Ich füge eher mir Schmerz zu, als dass ich ihn andere spüren lasse.

Auf „Rüm Hart“ gibt es ein Lied über Kindesmissbrauch. Warum?

Wenn Sie Kinder haben, dann leben Sie mit dieser Angst. Aber auch für Kinder ist es ein Thema. Ich erinnere mich zum Beispiel, wie ich als Sieben- oder Achtjähriger einmal verfolgt worden bin. Ich bin - das war mein Gefühl – um mein Leben gelaufen. Das vergisst man nicht. Immer, wenn ich von Kindesmissbrauch lese, bricht für mich eine Welt zusammen. Das trifft mich im Innersten.

Was treibt Sie dazu, alle zwei Jahre eine neue CD aufzunehmen und auf Tournee zu gehen? Ich bin ein unordentlicher, wenn nicht chaotischer Mensch. Deshalb brauche ich eine Struktur, die zu mir passt. Ich nehme mir immer bewusst Zeit zu leben und zu erleben. Die Plattenfirma hat mich schon am Anfang meiner Karriere gedrängt, mehr zu veröffentlichen. Aber ich wollte mir meine Freiheit von niemandem nehmen lassen. Das will ich heute erst recht nicht.

Sie leben in Frohnau, nicht gerade die Hölle auf Erden. Wie und wo erleben Sie das Leben? Mein Zentrum ist ganz sicher meine Familie. Mich beschäftigt alles, was mit meiner Familie zusammenhängt.

Sie reisen nicht, Sie denken.

Beruflich bin ich so viel unterwegs, da muss ich nicht auch noch privat unterwegs sein. Aber ich reise trotzdem. Zum Beispiel von Frohnau nach Kladow, wo mein Freund Klaus Hoffmann wohnt. Auch solche Reisen können bilden.

Was kann man da lernen?

Dass das Leben verdammt schnell vorbei sein kann. Als ich eines Abends bei Klaus auf der Terrasse saß, fuhren sich keine fünfhundert Meter entfernt sechs Menschen tot. Immer wenn ich an dieser Stelle vorüberfahre, ist das für mich ein memento mori.

Streiten Sie auch? Oder ziehen Sie sich eher zurück, wenn es hart auf hart kommt?

Wenn ich es mir aussuchen kann, dann mache ich lieber Lust-Reisen zu Freunden, mit denen ich klar komme. Nein, ich streite nicht gerne.

Muss man nicht manchmal auch etwas ganz laut sagen? Ist die Welt nicht oft zum Schreien?

Ich habe schon einmal geschrien. Und zwar in „Vernunft breitet sich aus“, einem Lied über die Bundesrepublik Deutschland. Das hat mir richtig gut getan. Ein erlösender Schrei. Und die Lektion: du kannst das.

Vielleicht sind Sie einfach nur vorsichtig: Wer nicht schreit, wird auch nicht angeschrien?

Ich stelle mir immer vor, wie etwas auf andere wirkt. Das steckt tief in mir drin. Als Freunde in der Pubertät den größten Ärger mit ihren Eltern hatten, konnte ich den Kummer nachempfinden, den meine Eltern über den Mist empfanden, den ich da wieder angerichtet hatte. Da habe ich mir gesagt, du kannst diesen Leuten, die dich glücklich machen wollen, nicht so einen Kummer machen. Ich habe mich selbst erzogen. Meine Eltern haben mich zur Freiheit angestiftet.

Das klingt jetzt entweder nach frühreif ...

... extrem frühreif!

... oder nach früh angepasst.

Glauben Sie mir, ich habe es faustdick hinter den Ohren. Ich habe sehr früh Dinge verstanden, oder zumindest geglaubt, sie zu verstehen. Das hat mir das Leben nicht immer leicht gemacht, weil ich nicht immer deckungsgleich mit meinen Altersgenossen war. Ich bin in der Schule genauso angeeckt, wie es meinen Kindern später auch passiert ist.

Waren Sie ein Außenseiter?

Ich war schon als Kind gern allein, ich bin verdammt gut mit mir allein ausgekommen. Ich bin in Tegel eingeschult worden und hatte als einziger eine Monatskarte um den Hals, die anderen gingen in Schulzendorf zur Schule, wo ich aufgewachsen bin. Das bedeutete, dass ich jeden Tag mit der S-Bahn nach Tegel, für einen Schulzendorfer also in die Stadt, gefahren bin. Ich habe mir ein eigenes Universum aufgebaut. Manchmal habe ich mich tot gestellt, wenn meine Kumpels an der Tür klingelten. Bis heute ist das so: Ich kann sehr gut allein sein.

Da muss man auch nicht so viel reden.

Seit 1970 gehe ich mit meinem Freund Peter Graumann auf Tournee. Wir sitzen dann stundenlang im Auto, er fährt, ich sitze daneben, und schweigen. Manchmal über Hunderte von Kilometern. Das ist sehr angenehm. Ich erzähle mir im Stillen meine Geschichten, er erzählt sich seine.

Fühlen Sie sich auch heute noch als Außenseiter?

Ja, ein bisschen. Weil ich seit 35 Jahren das machen kann, was ich immer machen wollte. Wer kann das schon? Aber auch, weil niemand sich vorstellen kann, dass der, der so ein Glück hat, auch solche Abgründe erlebt. Dass einer leidet, der doch alles hat, was er sich wünscht.

Gibt es Dinge, die Sie mit niemandem bereden können?

Es gibt Dinge, die ich mir selber nicht erklären kann. Manchmal frage ich mich, warum ich mir in bestimmten Situationen Beulen hole, statt unter dem Apfelbaum zu liegen und ins Himmelblaue zu gucken.

So wie man sich Reinhard Mey vorstellt.

Ich würde es keine fünf Minuten unter einem Apfelbaum aushalten ...

... weil Sie nicht von faulen Äpfeln erschlagen werden wollen ...

... nein, weil ich für solcher Art Muße viel zu hibbelig bin.

Da toben Sie sich lieber auf einer Tournee aus.

Schon vor der Tournee ist mir oft wahnsinnig elend, weil ich von zu Hause weg muss, und weil ich nicht weiss, was mich erwartet. Ich bin dann so ein Wrack, dass ich mich frage, warum, warum, warum? Das ganze Jahre vor einer Tournee ist versaut. Von dem Gefühl beherrscht, nie dem gerecht werden zu können, was ich mir da aufgeladen habe. Das ist auch der Grund, warum ich immer sechzig Konzerte am Stück spiele. Wenn ich mich schon so quäle, dann muss es sich auch lohnen. Das Irre ist: nach dem ersten Konzert möchte ich nichts anderes machen als auf der Bühne stehen. Aber ich habe Angst, dass ich die Hürde nicht schaffe, die ich selbst vor mir aufgestellt habe.

Helfen dem alten Hasen keine Zaubertricks? Es gibt keine, Ehrenwort. Wenn Sie das erste Mal beim Text hängen bleiben, dann klatscht das Publikum. Beim zweiten Mal wird schon weniger geklatscht und beim dritten mal findet es niemand mehr im Saal witzig. Ein wahnsinniger Krampf, der mir Gott sei Dank nur ein paar Mal passiert ist. Das hat mich dazu gebracht, vor jedem Konzert alle 26 Lieder einmal für mich in der Garderobe durchzusingen.

Das Gespräch führten Thomas Eckert und Joachim Huber.

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