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Kultur: „Ich halte die Hand über ihn“

Hitler spielen, wie geht das? Bruno Ganz über Furcht und Mitleid in „Der Untergang“

Herr Ganz, wie geht esIhnen,wennSie sich auf dem „Spiegel“Cover als Hitler sehen?

Zunächst denke ich: Oh, eine neue „Hitler“-Welle. Dann: Ein Glück, die Mütze ist so weit ins Gesicht gezogen, man erkennt mich nicht. Schließlich denke ich: Toll, ich bin auf dem „Spiegel“-Titel.

Vor den Dreharbeiten äußerten Sie Angst über die Reaktionen, mit denen Sie nach dem Filmstart konfrontiert sein könnten.

Meine ganze nähere Umgebung äußerte Bedenken, mit einleuchtenden Argumenten. Mein Sohn meinte, es sei nicht gut, sich so lange mit einem kranken Gehirn zu beschäftigen. Ich dachte, das kann ich bewerkstelligen, ich bin ja Schauspieler. Er befürchtete aber auch, dass ich für den Rest meines Berufslebens der „Hitler-Darsteller“ sein würde. Das nehme ich nach wie vor ernst. Als ich den Film jedoch das erste Mal sah, war ich stolz. Das entspricht weitgehend dem, was ich mir vorgestellt hatte. Selbst wenn so viel Geschichte im Spiel ist, geht es doch auch darum, dass es emotional dicht, differenziert und lebendig gespielt ist. Wenn ich den Eindruck habe, dass meine Darstellung eine inspirierte Arbeit ist, gibt mir das eine gewisse Sicherheit. Darauf kann ich mich zurückziehen.

Also doch ein bisschen Angst.

Ich habe in Holland mal einen Film mit der wunderbaren Renée Soutendijk gedreht, wir mussten durch ein Gelände laufen und ich trug eine SS-Uniform. Plötzlich kam mir ein etwa 50-jähriger, leger gekleideter Mann entgegen und rief „Heil Hitler“. Ich dachte, gut, wir sind in Holland, die haben schlimme Dinge mit den Deutschen erlebt. Als Hitler verkleidet in St. Petersburg herumzulaufen, ist grauenhaft. Trotzdem bin ich vor allem in Deutschland verletzlich.

Was war ausschlaggebend für Ihre Entscheidung, die Rolle anzunehmen? Sportlicher Ehrgeiz?

Schauspielerischer Ehrgeiz. Nicht nach dem Motto, ich habe den Faust geschafft, also auch noch den Hitler. Wichtiger war meine lange Abstinenz vom deutschen Film, die nicht von mir gewählt war.

Hat niemand Ihnen Rollen angeboten?

Ich glaube, seit 15 Jahren nicht mehr, mit Ausnahme von „Epsteins Nacht“. Und dann kriegen Sie dieses Angebot, das ist ein großes Ding. Ich sah außerdem Albin Skoda in Pabsts „Der letzte Akt“: Der gleicht ihm nicht sehr, und trotzdem glaube ich ihm den Hitler. Da wusste ich, dass es doch nicht grundsätzlich unmöglich ist, Hitler zu spielen. Sonst kannte ich nur Chaplins „Der große Diktator“. Aber das ist außer Konkurrenz.

Wie macht man das ganz praktisch: Hitler spielen? Haben Sie die zitternde Hand geübt, die Gestik imitiert?

Die Maßgabe ist erst einmal das Drehbuch: Da ist der Alte, der ist am Ende, da gibt es Parkinson, den totalen Zerfall, bekleckerte Klamotten, unrasierte Erscheinung – etwas, das Hitler sich vorher nie gestattet hätte. Wir wissen nicht, wie er in den letzten Tagen aussah, mit Ausnahme des Dokuments, das wir im Film nachinszeniert haben, als er den Bunker kurz verlässt, um junge Flakhelfer zu dekorieren. Da zittert seine linke Hand auf dem Rücken. Sonst gibt es nur Geschriebenes. Die Adjutanten, Albert Speer als Architekt, Minister und Freund, die Sekretärin, der Leibarzt – alle schrieben Bücher. Ich weiß damit als Schauspieler, worum ich mich zu kümmern habe. Ich muss zum Beispiel Parkinson anständig spielen, also habe ich Menschen zugeschaut, die unter dieser Krankheit leiden.

Und wie ist es, sich als Hitler verkleidet im Spiegel zu sehen?

Kaum hatte ich diese Haare auf dem Kopf und den Schnurrbart, war die Ähnlichkeit verblüffend. Wenn ich nicht vorgehabt hätte, Hitler zu spielen, hätte mich das erschreckt, aber so war es eine große Hilfe. Ich wusste: Du siehst aus wie Hitler, das ist gut für die Rolle.

Die Aussprache haben Sie auch geübt.

Viele Tondokumente aus dieser Zeit gibt es nicht. In einem erklärt er, warum sein 20-Punkte-Antworttelegramm an Roosevelt so toll ist. Ein gespenstisches Dokument, bei dem man einen Eindruck von der Verblendung derer gewinnen kann, die nicht begriffen, wie mächtig Amerika ist. Wichtiger war für mich ein siebenminütiges Tonband, auf dem er einem finnischen Diplomaten erklärt, (senkt die Stimme und spricht wie Hitler) warum die deutsche Armee nur für den Sommer ausgelegt und keine Winterarmee ist. Er monologisiert, man begreift: Wenn err rredet, rredet nur err ganz alleine. Es quillt der Brei in den Nachmittag hinein, das war fantastisches Material für mich. Geholfen hat mir auch Andreas Pühringer, ein Schauspieler aus Linz, der dort Taboris „Mein Kampf“ gespielt hat. Der hat mit mir linzerisch trainiert.

Sie sind berühmt für Ihre wunderbare Stimme, für Ihren Hölderlin. Nun müssen Sie sie schrecklich entstellen.

Na ja, das muss auch mal sein. Man kann nicht immer nur der sein, den die Leute haben wollen. Es ist gut, auch mal Härte und Kälte und Bösartigkeit zu zeigen.

Sie sagen gleichzeitig, man könne mit Hitler auch Mitleid haben.

Ich wollte als Schauspieler wissen, wie Hitler „tickt“ und – ja, manchmal habe ich auch ein armes Schwein gesehen. Mit einer ausschließlich kalten Attitüde kann ich ihn nicht spielen. Ich brauche nicht die totale Identifikation, aber ohne die Möglichkeit eines emotionalen Zugangs zu diesem Burschen schaffe ich die Rolle nicht. Ich versuche, meine Figuren zu schützen – selbst wenn es Hitler ist.

Ulrich Matthes, der Goebbels spielt, sagt, er könne seine Figur zu verstehen versuchen, aber sie nicht beschützen.

Was soll ich dann erst beschützen bei 50 Millionen Toten, der Zerstörung Europas und vor allem den sechs Millionen ermordeten Juden und dem brutalen Vernichtungskampf gegen sie! Ich müsste verrückt sein, das wirklich schützen zu wollen. Beim Aufstieg Hitlers geht das vielleicht noch: Dieser Junge, der den Pomp von Wagners „Rienzi“ bewundert, aber nur Postkarten vom Parlament in Wien malen kann und sich für den Größten hält, hat etwas Rührendes. Nach der Katastrophe geht das nicht mehr. Aber für die Zeit, in der ich ihn spiele, halte ich trotzdem die Hand über ihn.

Hitler war ein schlechter Schauspieler. Wie mimt man das, ohne zu chargieren?

Wer den Untergang spielt, muss über den Aufstieg Bescheid wissen. Davon gibt es viele Bilddokumente, unter anderem in Joachim Fests Film „Hitler – eine Karriere“ von 1972. Für einen Schauspieler ist es hochinteressant zu sehen, wie er sein Publikum einwickelt, wie er sich (spielt wieder Hitler) leise als bescheidener Diener und Gefreiter des Ersten Weltkriegs vorstellt, sich dann an die zugkräftigen Themen herantastet wie die Schmach durch den Versailler Vertrag, zu puschen anfängt und nicht nachlässt, bis er am Schluss mit seinen Zuhörern vereint ist. Es ist egal, ob er ein schlechter Schauspieler ist, er verstand es, die Massen für sich zu begeistern, bis zu totaler Verehrung und glühender Liebe. Er hantiert mit damals zentralen Sehnsüchten und Forderungen, mit Begriffen wie Ehre, Tod, Vaterland, Versailles, deutsch, Mann, Frau.

Im Bunker ist er nicht mehr faszinierend. Im Gegenteil, seine Umgebung ist bestürzt über seinen Realitätsverlust.

Aber es gibt immer noch die überständige Faszination von etwas, das einmal groß und mächtig war. Keiner traut ihm zu widersprechen. Stattdessen stehen die Minister und Generäle da und starren auf ihre Fußspitzen. Seine Befehle werden bis zur letzten Sekunde ausgeführt, und die Frauen wollen bei ihm bleiben.

Hat er sich seine abstrusen Sätze denn selbst noch geglaubt?

Ich denke, er hatte die Fähigkeit zur Autosuggestion. Er konnte sich selbst überzeugen und damit die Zweifler verunsichern, was wiederum bestätigend auf ihn zurückwirkte.

Macht es Spaß, die Macht zu verkörpern?

Klar. Sie betreten einen Raum und alle schlagen die Hacken zusammen. Man ist der Boss. Ist man sonst ja selten.

Sie gelten als der große Melancholiker des deutschen Schauspiels. Hilft dieses Image, den bei aller Macht im Bunker ja ziemlich vereinsamten Hitler zu spielen?

Zunächst, wenn man noch eine gewisse Distanz zur Rolle hat, sucht man als Schauspieler nach solchen Parallelen. Aber dann geht es ans Eingemachte, und es hilft alles nichts mehr.

Sie brüllen sonst nie vor der Kamera.

Es ist schön, auch im Kino mal laut zu werden. Aber es ist anstrengend. Vierzig Mal an einem Tag vor 25 Männern zu brüllen, 14 Stunden lang immer wieder mit viel Einsatz, das ist die schiere Disziplin und Verzweiflung. Schon beim zweiten Mal kommen Sie sich vor wie ein Idiot.

Nach 4000 Versen „Faust“ sagten Sie, der Faust sei Ihnen nicht nahe gekommen ...

... das kommentiere ich nicht mehr ...

... ist Ihnen Hitler nahe gekommen?

Hitler war im Innersten leer. Diese Leere kann ich umspielen, aber abgesehen davon ist er für mich kenntlich. Faust begreife ich nicht. Da fragt sich dieser Wissenschaftler, was die Welt im Innersten zusammenhält, und in der Nacht schwängert er ein Mädchen. Das hätte ich ihm vorher sagen können, dass so etwas die Welt im Innersten zusammenhält. Ich will nicht mehr darüber reden: Es ist mir nicht gelungen, eine irgendwie geartete Fantasie von Faust zu entwickeln, die ich gerne gespielt hätte. Schluss mit Faust! Hitler, wie ihn die intelligenten Bürger, Adligen und Mächtigen der Weimarer Republik unterschätzt haben, kann ich begreifen. Er hat durchschaut, dass es keine emotionale Identifikation mit der Weimarer Republik gab, und hat sie alle ausgetrickst.

Sie sind fasziniert.

Nein – ich hab ein paar Sachen begriffen. Er war ein Brigant, ein ausgefuchster Mafioso: Lacht ihr nur über mich, ich, der kleine Postkartenmaler, lache als Letzter. Die anderen dachten, er redet nur so radikal, er sei es nicht. Ein großer Fehler.

Sie sagten einmal, mit Filmen über Konzentrationslager hätten Sie Probleme. Das könnten Sie nicht spielen. Warum?

Ich habe viel Lagerliteratur gelesen. Die dieser Hölle entronnen sind, beschreiben das Leben, das Vegetieren dort und auch die Rohheit, zu der man dann offenbar fähig ist. Dass großartige Menschen entmenschlicht werden, bis sie bereit sind, einen Kameraden für einen Kanten Brot zu töten, ist so schmerzvoll, dass ich nicht stolz bin, Mitglied der menschlichen Rasse zu sein. Solche Opfer kann ich nicht spielen, ich habe zu viel Respekt vor ihnen. Ich kann nicht behaupten, diesen Zustand zu kennen. Die Seite der Täter, das geht schon. Denn die haben gegessen, bevor sie geschossen haben.

Warum glauben Sie umgekehrt, dass es heute wichtig ist, sich Hitler anzuschauen?

Es gibt Indizien, die Entwicklung der EU, die Opfer- und Vertriebenendebatte oder das wachsende Stelenfeld des HolocaustMahnmals, die darauf hinweisen, dass sich etwas bewegt. Die Hitlerei bleibt die größte Bruchstelle der deutschen Geschichte. Aber vielleicht können wir uns jener Zeit etwas gelockerter, intimer und komplexer annähern als früher. Aber eigentlich möchte ich mich an der Debatte nicht beteiligen. Ich sollte mich zurücklehnen und sagen: Leute, ich habe euch den Hitler gemacht, nun seid ihr dran.

Das Gespräch führte Christiane Peitz

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