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Kultur: Ich hatt’ einen Pappkameraden

Hamburgs RAF-Travestie zum Theatertreffen-Start

Ein Witz oder zwei, oder auch keiner. Hätte Christian Klar heute Abend Freigang gehabt und das Jelinek-RAF-Stück „Ulrike Maria Stuart“ gesehen, er hätte sich schnurstracks wieder in den Knast begeben. Sagt einer in fröhlicher Theatertreffenrunde draußen im wunderbaren, schon immer leicht verwunschenen Garten des Berliner Festspielhauses. Und ein anderer setzt drauf: Ja, und dann soll der Klar jetzt freikommen und bei Claus Peymann am Berliner Ensemble arbeiten, lebenslänglich . . .

Es war ein satter Auftakt des Theatertreffens 2007, endlich einmal wieder. Es wurde bis spät in die Nacht und früh in den Morgen über – Theater debattiert! Über Hamburgs Thalia Theater, den Regisseur Nicolas Stemann vom Jahrgang 1968, ausgerechnet, und seine RAF-Revue, die mit prügelnden, treuherzig-doofen Vaudeville-Knallchargen anhebt und in einer sülzigen Robbie-Williams- Hymne endet. Zwei Stunden Theaterhochdruck mit schmerzhaften historischen Blindstellen, 30 Jahre nach dem „Deutschen Herbst“. Die Baader-Meinhof-Gang als untote Kinoheldenabziehbilder, schräg gespiegelt in Schillers Königinnendrama und gespielter Hamlet’scher Verzweiflung.

Für Jelinek’sche Verhältnisse ist „Ulrike Maria Stuart“ ein hochdramatischer Text. Wortmassen schichten sich auf, die entmenschlichte Sprache der Revolutionäre, die seltsam nachhallt in den desparaten, disparaten Dichtungen der Wiener Nobelpreisträgerin. Über all dem Klamauk, den Stemann veranstaltet, über all den Travestienummern und Schießbudenzaubereien wird etwas sichtbar, spürbar: Dieses postideologische Theater, dem man Zynismus und Oberflächlichkeit vorwerfen kann, sucht in seiner Pop- Hölle nach dem Politischen. Und dieses Politische, das sich hier offenbar im Theater zurückmelden will, befindet sich noch in flüssigem Zustand. Hat noch keine Form. Bedient sich der medialen Rituale, die Politik heute ersetzen.

Für die große Wasser- und Farbschlacht hat Stemann seine Pappkameraden an der Rampe berlinisch aktualisiert. Neben Deutsche-Bank-Ackermann mit Victory-Gruß, „Bild-Zeitungs“-Diekmann und Talkshow-Kerner werden Wowereit- und Peymann-Konterfeis zum Abwerfen mit Wasserbomben freigegeben. Das Theatertreffen-Publikum wirft lustig mit, die Spaßguerilla schwappt ins Parkett. Eine geradezu altmodische Szene, Sandkastenwut: Die Bühne nimmt, haha, die Mächtigen aufs Korn.

„Ulrike Maria Stuart“ hat Galgenhumor – und keine Hemmungen. Es handelt sich um jene Aufführung, gegen die Jelineks Dichterkollegin Marlene Streeruwitz juristisch vorgegangen ist. Wegen dieser köstlichen Muppet-Szene mit den Marlene-Elfriede-Vagina-Monologen, die Streeruwitz nicht witzig findet. Die Nummer wird weitergespielt – hinreißend auf Weanerisch von Susanne Wolff (Ulrike Maria von Schottland) und Judith Rosmair (Gudrun Ensslin Elisabeth von England). Die Anführerinnen der RAF im Hosen- und Rosenkrieg, als feministische Sprechautomaten. Das ist eine Zumutung. Eine befreiende: Bei der Uraufführung im Oktober letzten Jahres ahnte keiner, dass sich alsbald wieder eine bleierne Zeitverschiebung über das Land senken sollte. „Ulrike Maria Stuart“: eine machtvolle Demonstration künstlerischer und gesellschaftlicher Ohnmacht.

Rüdiger Schaper

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