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Warm oder gefühlskalt? Anna-Luise Recke (li.) und Corinna Harfouch. Foto: dpa-bildfunk

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Kultur: Ich leide, also bin ich

Marguerite Duras’ „Der Schmerz“: Das Regiedebüt von Corinna Harfouch am Deutschen Theater

Eine Frau, die zufällig Schriftstellerin ist, wartet am Ende des Zweiten Weltkriegs auf die Rückkehr ihres im Konzentrationslager gefangenen Mannes. In ihrer Pariser Wohnung stellt sie sich panisch seinen Tod vor, träumt von seinem Überleben, spielt manisch immer wieder Szenen seines Leidens oder Nachhausekommens durch. Die Einsamkeit, das zermürbende Warten und die Fantasien entkoppeln sie gewissermaßen von der Wirklichkeit – und stoßen sie zugleich immer tiefer in eine andere Wirklichkeit hinein, in die Intensität des Schmerzes. Weshalb Marguerite Duras, von der hier die Rede ist, in ihren Tagebüchern auch von der „Lust des Schmerzes“ gesprochen hat. Der Ersehnte überlebt tatsächlich, schleppt sich, nur noch Haut und Knochen, nach Hause. Kaum hat er sich halbwegs erholt, verlässt ihn die Frau. Sie liebt einen anderen.

Die Schauspielerin Corinna Harfouch hat es sich bei ihrem Regiedebüt, das vor einigen Wochen in Stuttgart Premiere feierte und nun am Deutschen Theater zu sehen ist, nicht leicht gemacht. „Der Schmerz“ nach Marguerite Duras ist ein undramatischer Erzähltext, der auf fast abstrakte Weise die Ambivalenz eines extremen Gefühlszustands auslotet. Die kaum zu ertragende Sorge um den Fehlenden verselbstständigt sich, löst sich an einem Punkt von ihrem Gegenstand, also vom Vermissten ab, und schlägt, als der Vermisste wieder auftaucht, in Fremdheit ihm gegenüber um. Wie erzählt man von diesem Leiden, von dieser Brutalität auf der Bühne?

Am besten ganz ohne Bühne. Corinna Harfouch inszeniert sich mit wohltuender Sparsamkeit selbst. Sie steht und spricht, erkundet mit tastender Sachlichkeit die vielen Facetten des Schmerzes. Für einen Moment scheinen ihre Züge vor Mitgefühl zu zerfließen, im nächsten zieht die feste Stimme die Fantasie auf den Boden des Tatsachenberichts zurück. Auf beeindruckende Weise erzeugt sie Emotionen durch Beherrschtheit.

Leider vertraut der Abend nicht auf seine kraftvolle Radikalität, sondern veräußerlicht das innere Drama durch reichlich existenzialistische Folklore. Um zu demonstrieren, dass der Schmerz natürlich wortlos ist, treten zwei Tänzer auf, die das Leiden in Zuckungen übersetzen, in Bewegungslähmung und Bodenwälzerei. Drei weitere stumme Schauspieler bauen Dutzende schwarze Kartons, die anfangs einer Trümmerlandschaft ähneln, erst zu einer Mauer auf, schichten das Ganze zu einem sich nach hinten stark verjüngenden Schacht um, bis sie die düstere Architektur schließlich – und alles andere als überraschend – einstürzen lassen, während Johannes Gwisdek hin und wieder für atmosphärische Hintergrundklänge sorgt: ein bisschen Edith Piaf hier, ein bisschen Elektrozirpen dort. Außerdem gibt es auf einer Leinwand auch Piktogramme zu sehen, zum Beispiel Uhren, die zu Augen werden.

Das Problem ist, dass die Mittel nicht ineinandergreifen, dass sie sich nicht zu einer Theatergeschichte fügen, sondern hilfloses Beiwerk bleiben, wie aus der Not geboren, irgend etwas machen zu müssen, um die bedrohliche Bühnenleere zu füllen. Damit bleibt die Inszenierung hinter der Rigorosität der Vorlage zurück. Gerade weil so viel los ist, droht die Gefahr der Banalisierung. Am Ende hat Harfouch einen zweiten Duras-Text eingefügt, bei dem es um die genüssliche Folterung eines Nazikollaborateurs geht, aus Sicht einer Frau erzählt. Im Prinzip eine geschickte Wahl, zeigt die Erzählung doch noch einmal die emotionale Widersprüchlichkeit der Duras. Doch anstatt auch diesen Text selbst zu sprechen und dadurch das Warme und Gefühlskalte auf quälende Weise nebeneinander zu stellen, hat ihn Corinna Harfouch unverständlicherweise an die Tänzerin Anna-Luise Recke delegiert. Was bleibt? Ratlosigkeit.

Wieder am 9., 10. und 22. Juni.

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