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Kultur: Ich male was, was du nicht siehst

Bandagierte Fische, Messer hinterm Rücken: Pavel Feinsteins altmeisterliche Gemälde im Jüdischen Museum

Auf Pavel Feinsteins Bildern spielen sich schweigsame Dramen ab. Feine Porzellanschalen stehen gefährlich dicht am Abgrund. Die Messer neben den Früchten sind nicht zum Schälen da. Und was hat ein Hammer in einem altmeisterlich gemalten Stillleben zu suchen? Das scheinen sich auch die Fische zu fragen, die den Betrachter flehentlich anschauen. Sie leben noch und sind in weiße Stoffbahnen gewickelt. Bandagen, Leichentücher? Pavel Feinsteins Gemälde, nicht nur die Stillleben, kann man lange betrachten, ohne auf eine Antwort zu stoßen. Sie verunsichern. Das sei einer von vielen Gründen, sie im Jüdischen Museum zu zeigen, sagt Sammlungsleiterin Inka Bertz.

Auf die Fisch-Frage hat Inka Bertz eine Antwort. Für sie ist es ein Wortspiel, das die Stillleben zu jüdischen Bildern macht: Gefillte Fisch, verhüllte Fisch. Pavel Feinstein nickt zustimmend. So eine Interpretation, die fast nichts erklärt, aber viel sagt, gefällt ihm. Deshalb haben die meisten seiner Werke auch keinen Titel. Der Witz wäre weg, sagt Feinstein. Er will nicht eindeutig sein.

Als sie Pavel Feinsteins Bilder vor zwei Jahren in einer Ausstellung der Berliner Künstlergruppe Meshulash entdeckte, hat Inka Bertz gleich gedacht: Das ist es! So ist der aus Russland stammende Maler einer der wenigen zeitgenössischen Berliner Künstler, von denen das Jüdische Museum bislang Werke für seine Sammlung angekauft hat. Und er ist der erste, der eine Einzelausstellung bekommt. Als die Kuratorin den heute 42-jährigen Feinstein in seinem Atelier besuchte, fand sie noch mehr Bilder, „die einem den Boden unter den Füßen wegziehen“. Ein Motto, das sich das Jüdische Museum zu eigen gemacht hat. Der aktuelle Werbeslogan verspricht: „Nicht das, was Sie erwarten.“ Aus einer Zahnpastatube kriecht eine Raupe. Das Innere einer aufgeschnittenen Orange ist granatapfelrot.

Pavel Feinstein treibt Verwirrspiele auch auf seinen figurativen Gemälden. Er malt Männer mit krausen Bärten und schwarzen Hüten. Um den nackten Leib tragen sie nur ein weißes Hüfttuch mit blauen Streifen – zweckentfremdete Gebetsschals. Juden, ohne Zweifel, wie ihr Schöpfer. Aber was ist los mit diesen Juden? Warum steht der magere Mann so schräg im Bild, warum hält er ein Messer hinter seinem Rücken, während er den anderen Arm nach einer Ziege ausstreckt und aus geweiteten Augen in die Ferne starrt? Der will die Ziege streicheln, sagt Feinstein, mit Bedrohung hat das nichts zu tun. Man möchte es zu gerne glauben.

Das Triptychon, durch das Inka Bertz auf ihn aufmerksam wurde, scheint eine deutlichere Sprache zu sprechen. Wieder sind es halb nackte dürre Männer, die im Wasser stehen. Neben einem Knöchel ragt eine krallenartige Hand aus dem Wasser. Die Gruppe hält dem Betrachter gefüllte Gläser entgegen. Bitten sie darum, verschont zu werden? Pavel Feinstein will das nicht erklären. Er zeigt auf die Knie der Männer: Drei unterschiedliche Kniescheiben so dicht nebeneinander – ihm gefalle dieses skurrile Trio.

Inka Bertz sieht stattdessen Anspielungen auf die jüdische Ikonografie. Die Gläser sind Kiddusch-Becher für den Wein, den die Juden am Sabbat segnen und trinken. Ein Glas wird gehalten nach der Tradition deutscher Juden, das andere nach der osteuropäischer. „Insiderjokes“, erklärt Bertz. Nichtjüdische Deutsche finden Feinsteins Figuren weniger komisch als vielmehr verstörend. Und dennoch: Moderne Kunst provoziert anders. Geschändete Nacktheit, präparierte Tierkadaver wie Damian Hirsts in Formaldehyd eingeleigter Hai sind zwar beliebte Motive. Aber nie diese keusche Entblößung, die Feinsteins Figuren sogar die Erotik entzieht.

Hirsts Fisch-Installation im Hamburger Bahnhof hat Feinstein nicht gesehen. Dort war er überhaupt noch nie, gibt er zu. Denn moderne Kunst interessiert ihn nicht. Feinstein lebt seit 22 Jahren in Berlin, er hat an der Berliner Hochschule der Künste studiert und ist ein Konservativer. Keine Seltenheit bei Malern, die eine klassische akademische Ausbildung nach der russischen Schule genossen haben. Bei Pavel Feinstein, der 1960 in Moskau geboren wurde, war das die Kunstschule der tadschikischen Hauptstadt Duschanbe. Dorthin zog die Familie, als Pavel vier war. In Duschanbe seien ihm die Grundlagen des Zeichnens beigebracht worden, ansonsten sei er Autodidakt, behauptet er. Und selbst fünf Jahre an der HdK haben daran nichts geändert. Da war er „ein kleiner altmodischer Idiot, ein Außenseiter“, der als Exilant an seiner konventionellen Technik festhielt. Feinstein fühlte sich der Petersburger Schule der „Cezannisten“, einer antikonstruktivistischen Richtung der frühen Zwanzigerjahre, zugehörig – spätblühender Postimpressionismus, während seine Kommilitonen zu Jungen Wilden oder gar zu Minimal-Artisten heranwuchsen.

Pavel Feinstein hat eine andere Vorstellung von Freiheit. Frei zu sein, sagt er, heiße nicht, die Leinwand vollzuschmieren. Innere Freiheit in der Kunst braucht feste Formen, in denen der Maler über das herrscht, was er macht. Akademische Freiheit ist, den in Öl gemalten Juden seine Ziege nicht einfach streicheln zu lassen, sondern seinen Arm ein bisschen zu verrenken. Auch für politische Botschaften hat Feinstein deshalb nichts übrig. Das Politische, das Kritische sei bloß Ersatz für Malerei.

So braucht man über ihn selbst nur zu wissen, dass er Bilder male, „die mir gefallen“. Und dass er nicht Emigrantenkünstler genannt werden möchte. Pavel Feinstein ist Berliner, ein selbstbewusster Berliner jüdischer Maler. In der Sammlung des Jüdischen Museums vertreten zu sein, ist für ihn kein Lottogewinn. „Ich denke, ich habe es verdient“, sagt Feinstein zum Abschied. In seinen Katalog ließ er eine Widmung drucken: „Meinen Eltern, die noch immer hoffen, dass aus mir was wird.“

Jüdisches Museum (Lindenstraße 9 – 14), bis 12. Januar 2003. Öffnungszeiten: Täglich 10 bis 20 Uhr, montags bis 22 Uhr. Der Künstler im Internet: www.pavel-feinstein.de

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